Zwischen Fußverkehr und Drohnentaxi

Von auto­no­men Fahr­zeu­gen über Flug­ta­xis bis Elek­tro­bus­se. Die Mobi­li­täts­ex­per­ten Lars Thom­sen und Hei­ner Mon­heim dis­ku­tie­ren die Zukunft des öffent­li­chen Verkehrs. Das Interview führte Martin Randelhoff.
öffentlicher nahverkehr
Aus dem 4. Teil der was wäre wenn-Reihe:

Was wäre, wenn öffentlicher Personenverkehr kostenlos wäre?

Die Mobi­li­tät der Zukunft wird nicht nur von tech­ni­schem Wan­del geprägt, son­dern auch von den getrof­fe­nen und unter­las­se­nen Ent­schei­dun­gen der Gegen­wart beein­flusst. So mögen die Pla­nung und der Bau von Infra­struk­tur meh­re­re Jah­re dau­ern, die Nut­zungs­dau­er und die dar­aus resul­tie­ren­de Wir­kung ist jedoch auf meh­re­re Jahr­zehn­te ange­legt. Es lohnt sich also, hin­ter heu­ti­ge Struk­tu­ren zu bli­cken und dabei aktu­el­le Trends und Ent­wick­lun­gen nicht aus dem Blick zu ver­lie­ren. Das Dop­pel­in­ter­view mit Prof. Hei­ner Mon­heim, deut­scher Ver­kehrs­wis­sen­schaft­ler und Geo­graph, und dem Zukunfts­for­scher Lars Thom­sen, Grün­der des Think Tanks Future Mat­ters, soll bei­des leis­ten – eine Beschrei­bung der Gegen­wart, aber auch ein Blick in die Zukunft der Mobi­li­tät. Eine Dis­kus­si­on über die Per­spek­ti­ven des öffent­li­chen Ver­kehrs in Deutsch­land, die Inno­va­ti­ons­kraft der Mobi­li­täts­bran­che, den oft ver­ges­sen Fuß­ver­kehr und den Wett­be­werb zwi­schen Städ­ten und Regio­nen um die höchs­te Lebensqualität.

Wie wür­den Sie den der­zei­ti­gen Zustand des öffent­li­chen Ver­kehrs bewerten?

Hei­ner Mon­heim: In Deutsch­land ist das depri­mie­rend. Es wird zwar sehr viel Geld aus­ge­ge­ben, aber der Ver­kehrs­markt wird damit nur sehr unzu­rei­chend erreicht. Und wir haben nach wie vor eine Zwei­tei­lung des Lan­des. Ein­mal in urba­ne Räu­me, wo ein mit­tel­präch­ti­ges Niveau von öffent­li­chem Ver­kehr erreicht wird und in länd­li­che Räu­me, wo der öffent­li­che Ver­kehr nur eine Rest­funk­ti­on hat. So gese­hen bleibt der öffent­li­che Ver­kehr in Deutsch­land weit unter sei­nen Mög­lich­kei­ten, das zeigt auch der inter­na­tio­na­le Ver­gleich. Wir haben eine unzu­rei­chen­de Sys­tem­qua­li­tät sowohl im Fern­ver­kehr als auch im Nah­ver­kehr. Es gibt ande­re Län­der in Euro­pa, wo alles sehr viel bes­ser auf­ge­stellt ist. 

Lars Thom­sen: Ich woh­ne und lebe ja in der Schweiz. Da sieht es tat­säch­lich ein biss­chen bes­ser aus. Die Nut­zer­zah­len und die Qua­li­tät des öffent­li­chen Ver­kehrs sind in der Schweiz wesent­lich höher. Das hat mit der Qua­li­tät zu tun, das heißt Pünkt­lich­keit. Ich wür­de nie auf die Idee kom­men, mit dem Auto von Zürich nach Bern zu fah­ren, weil die Bahn schnel­ler ist. Sie ist pünkt­lich und ich ste­he nicht im Stau. Wenn die Qua­li­tät des Pro­duk­tes eine höhe­re Qua­li­tät bie­tet als die Alter­na­ti­ve, dann wer­den Men­schen das höher­wer­ti­ge Pro­dukt wählen. 

H. Mon­heim: Es gab gele­gent­lich sys­te­ma­ti­sche Ange­bots­ver­glei­che zwi­schen Deutsch­land und der Schweiz. Im länd­li­chen Raum in der Schweiz ist die Ange­bots­dich­te aus­ge­drückt in Mul­ti­pli­ka­ti­on der Zahl der Hal­te­stel­len mit der Takt­fre­quenz der Fahr­ten sechs­mal grö­ßer als in Deutsch­land. Im urba­nen Raum ist das Schwei­zer Ange­bot vier­mal grö­ßer als in Deutsch­land. Das zeigt erst ein­mal, dass eine gute Qua­li­tät und ein dich­tes Ange­bot am Markt auch die adäqua­te Nach­fra­ge fin­det. Das sieht man am bes­ten am Gene­ral-Abo. ÖPNV auf Vor­rat für ein gan­zes Jahr kauft man sich nur, wenn man dem Sys­tem ver­traut und weiß, das Sys­tem bedient mei­ne Wün­sche adäquat. 

„Fos­si­le Auto­mo­bi­li­tät ist bis­her nicht adäquat bepreist.“ 

Könn­te uns auch in Deutsch­land ein Bür­ger­ti­cket, eine Nah­ver­kehrs­ab­ga­be oder ein kos­ten­lo­ser ÖPNV hel­fen, den ÖPNV attrak­ti­ver zu machen?

H. Mon­heim: Es geht zunächst nicht um den Null­ta­rif, son­dern um mög­lichst ein­fa­che Tari­fe und Flat­rate-Logi­ken. Ich habe 1992 das Semes­ter­ti­cket in Nord­rhein-West­fa­len ein­ge­führt. Das hat den Ver­kehrs­markt bei den Stu­die­ren­den mas­siv in Bewe­gung gebracht. Die Moto­ri­sie­rungs­quo­te ist rasch von 40 Pro­zent auf 10 Pro­zent her­un­ter­ge­gan­gen, weil die gan­zen Stu­den­ten gesagt haben, was brau­che ich noch ein Auto, wenn ich mit dem öffent­li­chen Ver­kehr zu einem Flat­rate-Preis fah­ren kann? Es geht dar­um, dass es sehr ein­fach sein muss und dass es Mobi­li­tät auf Vor­rat ist. Statt mit Ein­zel­fahr­schei­nen oder Wochen­kar­ten zu han­tie­ren, lege ich regel­mä­ßig eine Art Bekennt­nis zum öffent­li­chen Ver­kehr ab und krie­ge dafür eine Art Gene­ral-Abo nach Schwei­zer Vor­bild, aber nicht zu einem Prohibitivpreis.

Wie könn­ten wir so ein Bekennt­nis zum ÖPNV organisieren?

H. Mon­heim: Es gibt eine wich­ti­ge Ent­schei­dung: Soll das der klas­si­sche Null­ta­rif sein? Ich zah­le nichts, ein jeder steigt ein­fach ein und jeder Bun­des­bür­ger darf alles benut­zen? Kom­plett umsonst bringt zwei Pro­ble­me: Psy­cho­lo­gisch ent­steht der Ein­druck eines Ramsch­pro­dukts und öko­no­misch führt es zur Finan­zie­rungs­fra­ge. Die möch­te ich aber noch ein­mal umdre­hen, weil es auch damit zu tun hat, wie teu­er Auto­fah­ren ist. Ich bin ein lei­den­schaft­li­cher Anhän­ger einer intel­li­gen­ten Maut. Fos­si­le Auto­mo­bi­li­tät ist bis­her nicht adäquat bepreist. Die Kraft­stoff­steu­er deckt die Kos­ten für die Infra­struk­tur und die Infra­struk­tur­be­nut­zung bei Wei­tem nicht. Hät­ten wir jetzt intel­li­gen­te Steue­rungs­sys­te­me, könn­ten wir nach einer gewis­sen markt­wirt­schaft­li­chen Logik den Auto­ver­kehr beprei­sen: Jeder Kilo­me­ter, den ich fah­re, kos­tet. Wir hät­ten gleich­zei­tig eine völ­lig neue Tarif­po­li­tik im öffent­li­chen Ver­kehr, sodass sich die Gewich­te zwi­schen die­sen bei­den Ver­kehrs­ar­ten ganz schnell wie­der zuguns­ten des öffent­li­chen Ver­kehrs ver­schie­ben wür­den, weil der wesent­lich güns­ti­ger ist. Wir müs­sen hier eine viel brei­te­re Reform­de­bat­te füh­ren, aber am Ende muss raus­kom­men: Es muss wesent­lich preis­wer­ter wer­den, es muss wesent­lich ein­fa­cher wer­den und der Zeit­kar­ten-Nut­zer muss der Nor­mal­fall werden.

L. Thom­sen: Ich sehe das eher aus einer Nut­zer­sicht. In Sachen Null­ta­rif bin ich auch der Mei­nung, dass Leis­tung etwas kos­ten muss, sonst ist sie nichts wert. Ich wür­de es bes­ser fin­den, die Qua­li­tät des Pro­duk­tes zu ver­bes­sern als den Preis stark zu sen­ken. Öffent­li­cher Ver­kehr soll aber immer ein Anreiz ent­hal­ten, dass man damit güns­ti­ger unter­wegs ist als mit wesent­lich mehr Res­sour­cen ver­brau­chen­den Alter­na­ti­ven. Ob das nun Ener­gie­res­sour­cen, Platz­res­sour­cen oder Emis­si­ons­res­sour­cen sind. Da ist noch eini­ges zu tun. Aus der Per­spek­ti­ve des Zukunfts­for­schers muss ich aber noch ein­mal dar­auf hin­wei­sen, dass wir vor einem Umbruch ste­hen wie wir öffent­li­chen Ver­kehr, sei­ne Rol­le und auch die Erwar­tun­gen der Kon­su­men­ten an indi­vi­du­el­le Mobi­li­tät zukünf­tig bewer­ten. Wir haben uns dar­an gewöhnt, dass wir ler­nen müs­sen, wann der öffent­li­che Ver­kehr fährt und hof­fen, dass er pünkt­lich ist und so wei­ter. Es gab in der Ver­gan­gen­heit eigent­lich nur ein paar über­schau­ba­re Inno­va­tio­nen, ins­be­son­de­re wenn man das mit ande­ren Bran­chen ver­gleicht. Wir ste­hen immer noch an einem Gleis und war­ten auf einen Zug wie vor hun­dert Jah­ren. Viel­leicht haben wir heu­te eine digi­ta­le Anzei­ge dazu.

H. Mon­heim: Wenn der Takt gut ist wie In der Schweiz, dann war­ten wir natür­lich nicht so lan­ge. Glei­ches gilt für Japan oder Chi­na, wo alle fünf Minu­ten etwas fährt. Das liegt nicht grund­sätz­lich am öffent­li­chen Ver­kehr, der kann das sehr viel bes­ser, son­dern das liegt an sei­nen Rah­men­be­din­gun­gen. Er wird in Deutsch­land kaputt­ge­spart und bie­tet daher eben nicht das, was man braucht, um das Publi­kum rest­los zu überzeugen.

„Der öffent­li­che Ver­kehr hat auch eine sozia­le Funktion“

Wel­che Ent­wick­lungs­rich­tung erwar­ten Sie, Herr Thomsen?

L. Thom­sen: Wor­auf ich hin­aus möch­te, ist die Fra­ge wie wer­den sich die Alter­na­ti­ven zum öffent­li­chen Ver­kehr in den nächs­ten Jah­ren ent­wi­ckeln? Wird sich ein Kon­su­ment nach wie vor nach einem Fremd­takt rich­ten und — ich will es jetzt mal sehr stark zuspit­zen — zur rich­ti­gen Zeit das Haus ver­las­sen, zu Fuß durch den Regen gehen, sich an eine Hal­te­stel­le stel­len, war­ten bis das Ver­kehrs­mit­tel da ist, dann 17 Mal an Punk­ten anhal­ten, wo man eigent­lich gar nicht anhal­ten möch­te, an der rich­ti­gen Hal­te­stel­le aus­stei­gen und dann noch mal 300 Meter durch den Regen gehen, um dann irgend­wann anzu­kom­men? Wie wird sich der Kon­su­ment ver­hal­ten, wenn wir tat­säch­lich auto­no­me Fahr­zeu­ge haben, die auf Knopf­druck einen von der Tür abho­len, dort­hin brin­gen wo er möch­te und der Preis nicht höher ist?

H. Mon­heim: Ich fin­de das zu kli­schee­haft. Ich glau­be, dass der öffent­li­che Ver­kehr, da wo er gut ist, sehr kun­den­nah ist. Dort lau­fen weni­ger als hun­dert Meter zur nächs­ten Hal­te­stel­le. Da sind die Dorf­bus­se, die Land­bus­se, die Stadt­bus­se. Wenn man will, geht das. Ich glau­be, dass der Autis­mus in der Mobi­li­tät, immer nur Ein­zel­per­so­nen im Blick zu haben, nicht unbe­dingt ziel­füh­rend ist. Ich habe über­haupt nichts gegen eine Dif­fe­ren­zie­rung und Indi­vi­dua­li­sie­rung. Wenn der Mensch allein unter­wegs sein will, soll er das tun. Aber der Mensch ist ein sozia­les Wesen und der öffent­li­che Ver­kehr hat nicht nur Trans­port­funk­ti­on, son­dern auch eine sozia­le Funk­ti­on, eine Begeg­nungs­funk­ti­on. Das ist eine Büh­ne, auf der sich ganz viel abspielt. Und die Flä­chen­ef­fi­zi­enz­fra­ge ist eine ganz zen­tra­le. Wenn wir nach dem Modell der total indi­vi­dua­li­sier­ten Mobi­li­tät ver­fah­ren, dann haben wir Mil­lio­nen und Aber­mil­lio­nen von Fahr­zeu­gen, die unter­wegs sind. Die brau­chen Platz beim Rum­ste­hen und beim Fah­ren und ste­hen im Stau. Die gro­ße Flä­chen­ef­fi­zi­enz des Fuß­ver­kehrs, Rad­ver­kehrs und öffent­li­chen Ver­kehrs ist für mich ein ganz zen­tra­ler Punkt, weil wir dann in der Lage sind, kom­pak­te Städ­te nach dem Leit­bild der euro­päi­schen Stadt zu haben. Wenn wir nur indi­vi­dua­li­sier­te Mobi­li­tät mit Ein­zel­fahr­zeu­gen machen, haben wir wei­ter eine zer­sie­del­te Welt. Dann ver­brau­chen wir end­los Flä­chen und haben nicht das, was wir ger­ne wie­der­hät­ten: Kom­pak­te Städ­te mit engen Stra­ßen, mit Gas­sen, mit beleb­ten Plät­zen, das geht dann alles nicht.

L. Thom­sen: Der öffent­li­che Ver­kehr wird aber so oder so durch pri­va­te Ange­bo­te und auch durch auto­ma­ti­sier­te indi­vi­du­el­le Ange­bo­te in den nächs­ten Jah­ren enorm unter Zug­zwang und unter Druck kom­men. Es gibt kei­ne bestän­di­gen Trends. Man kann nicht sagen, dass eine Tech­no­lo­gie, die ein­mal da ist, auch die nächs­ten fünf­zig oder hun­dert Jah­re das Non­plus­ul­tra sein wird.

H. Mon­heim: Ich bin über­haupt nicht gegen neue Ent­wick­lun­gen wie Ridesha­ring, Car­sha­ring, auto­no­mes Fah­ren. Der gro­ße Unter­schied ist, dass wir in Deutsch­land ganz stark im öffent­li­chen Ver­kehr von Ratio­na­li­sie­rern domi­niert wer­den, die immer grö­ße­re Fahr­zeu­ge ein­set­zen möch­ten. Am bes­ten packst du 600 Leu­te in ein Fahr­zeug und dann kommt eine hal­be Stun­de lang nichts mehr. In der Schweiz ist z.B. der Fahr­zeug­typ Mini­bus und Midi­bus­se extrem weit ver­brei­tet, weil das ÖPNV-Ange­bot an die jewei­li­gen Raum- und Sied­lungs­struk­tu­ren ange­passt wird. Das haben wir in Deutsch­land nicht. Das sind Fehl­ori­en­tie­run­gen auf der Manage­ment­ebe­ne und die haben dazu geführt, dass wir sehr erfolg­los im öffent­li­chen Ver­kehr sind. Das Ange­bot ist ein­fach zu wenig differenziert. 

„Es gibt einen Grund dafür, dass der Stau da ist.“ 

Gäbe es Kon­zep­te und Mög­lich­kei­ten, wie man die­se Flä­chen­be­die­nung wie­der­her­stel­len kann?

L. Thom­sen: Ich sehe in abseh­ba­rer Zukunft ein gro­ßes Poten­zi­al von auto­no­men Fahr­zeu­gen in dem Bereich.

H. Mon­heim: Zustim­mung!

L. Thom­sen: Wir sehen ja bereits heu­te ers­te Pilot­pro­jek­te. Die For­men, wie die­se Fahr­zeu­ge nach­her aus­se­hen wer­den, wird sehr unter­schied­lich sein. Die gro­ße Fra­ge, die sich mir stellt, ist, wer­den die Betrei­ber auto­ma­ti­sier­ter Shut­tle­diens­te pri­va­te Anbie­ter sein oder wer­den die öffent­li­chen Ver­kehrs­be­trie­be die Betrei­ber sein? Wenn wir den rei­nen Betriebs­kos­ten­preis eines sol­chen Shut­tles ver­drei­fa­chen, spre­chen wir von Kos­ten für einen Kilo­me­ter von 30 Cent. Der Preis für einen zehn Kilo­me­ter Trans­port von Tür zu Tür läge bei drei Euro. Dafür kriegt man häu­fig nicht mal ein Bus­ti­cket. Was ich aus­drü­cken möch­te: Es ist unglaub­lich wich­tig, dass wir die­se Tech­no­lo­gi­en sehr genau beob­ach­ten und uns gesell­schaft­lich ent­schei­den, wie wir mit denen umge­hen. Ich wür­de sagen, gera­de für den schlecht erschlos­se­nen länd­li­chen Raum erge­ben sich enor­me Potenziale.

H. Mon­heim: Da sind wir uns im Prin­zip einig. Das ist der klein­tei­li­ge Ver­kehr auf Stre­cken, wo am Tag viel­leicht 200 Leu­te fah­ren. Unser Land ist aber trotz­dem voll von Stau. Da ste­hen nicht 20 Autos her­um, son­dern Hun­dert­tau­sen­de und Mil­lio­nen Autos. Wir haben ein Mas­sen­pro­blem. Man muss sich ja nur mor­gens bei der Kin­der­ta­ges­stät­te den Stau im Wen­de­ham­mer angu­cken. Da fah­ren heu­te 200 Müt­ter ihre Kin­der hin. Das wird nicht bes­ser, wenn die mit 200 auto­no­men Autos dahin­fah­ren. Am Ende ist das ja immer eine Fra­ge nach einem effi­zi­en­te­ren Sys­tem. Und die Effi­zi­enz ist eben auch eine Flächeneffizienzfrage.

Wird öffent­li­cher Ver­kehr in Deutsch­land in naher Zukunft anders aus­se­hen als heute?

H. Mon­heim: Ich bin sehr skep­tisch, was die Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit der deut­schen Indus­trie und des deut­schen öffent­li­chen Ver­kehrs angeht. Am Bei­spiel der Elek­tro­mo­bi­li­tät kann man das ja sehr schön deut­lich machen. Wir tüf­teln da immer noch rum und schaf­fen es nicht, kri­ti­sche Men­gen bei Pkws hin­zu­krie­gen und beim ÖPNV ist das ein­fach eine Lach­num­mer. In Chi­na wer­den in einer mitt­le­ren Groß­stadt 2000 Elek­tro­bus­se von jetzt auf gleich ein­ge­setzt und in Deutsch­land sind groß­städ­ti­sche Ver­kehrs­un­ter­neh­men ganz stolz, wenn die ers­ten zehn Elek­tro­bus­se ange­schafft sind. Wir haben eine Tech­no­lo­gie­ver­wei­ge­rung, weil es ganz lan­ge eine inne­re Ver­wei­ge­rungs­hal­tung gegen­über der Elek­tro­mo­bi­li­tät gab und ich fürch­te, das wird beim auto­no­men Fah­ren ähn­lich sein. Im Prin­zip sehen die Akteu­re immer noch gar nicht ein, war­um es denn über­haupt wich­tig ist, in Zukunft den öffent­li­chen Ver­kehr zu haben. Sie sind über 40 Jah­re ver­dor­ben vom Spar­dik­tat und das hat dazu geführt, dass sie den öffent­li­chen Ver­kehr immer nur noch als Restan­ge­bot und nie als die Num­mer eins in der Mobi­li­tät sehen wie es vor 100 Jah­ren ein­mal war. Damals hat er auch Gewin­ne gemacht.

L. Thom­sen: Damals gab es auch kei­ne Alternativen.

H. Mon­heim: In mei­ner Welt gibt es kei­ne Autos mehr. Das Auto ist ein Aus­lauf­mo­dell, weil es ein­fach nicht flä­chen­ef­fi­zi­ent orga­ni­siert wer­den kann.

L. Thom­sen: Schaf­fen Sie es ab gegen den Wil­len der Bevöl­ke­rung oder mit dem Wil­len der Bevölkerung?

H. Mon­heim: Mit dem Wil­len der Bevöl­ke­rung. Es gibt eine gro­ße Sehn­sucht nach schö­nen Städ­ten, nach guten Plät­zen, nach urba­nem Leben und vor allem auch nach Sicher­heit und nach siche­rem Bewe­gen. Gucken Sie in den ADFC-Fahr­rad­kli­ma­test, in dem die Leu­te alle sagen ​“Lasst mich end­lich wie­der Fahr­rad fah­ren. Ich will end­lich sicher auf der Stra­ße sein.“

L. Thom­sen: Ich glau­be nicht an die­sen Kon­sens und dass das mach­bar ist. Jeden­falls nicht in unse­rer Lebens­zeit. Das ist ein sehr idea­lis­ti­sches Bild von der Bequem­lich­keit von Men­schen. Fast alle Inno­va­tio­nen, die die Mensch­heit in der Ver­gan­gen­heit gemacht hat, dien­ten einem ein­fa­chen Zweck: unser Leben ein­fa­cher, schö­ner, kom­for­ta­bler, siche­rer zu machen. Das heißt, Tech­no­lo­gie hat sich immer dann durch­ge­setzt, wenn sie nicht etwas schlech­ter mach­te oder bzw. unser Leben ver­kom­pli­ziert hat, son­dern ver­ein­facht hat.

H. Mon­heim: Aber das Auto hat sie schlech­ter gemacht! Wir ste­hen per­ma­nent im Stau.

L. Thom­sen: Ich gebe Ihnen ja Recht auf der ratio­na­len Ebe­ne. Es gibt aber einen Grund dafür, dass der Stau da ist. Es scheint für vie­le Leu­te kom­for­ta­bler zu sein, im Stau zu ste­hen als sich in die Bahn zu setzen.

Über Lan­de­plät­ze auf Bahnhöfen

Könn­te sich denn nicht das Ver­hal­ten der Verkehrsnutzer*innen aus Moti­ven des sozia­len Fort­schritts verändern?

L. Thom­sen: Ich bin nicht so idea­lis­tisch unter­wegs, dass ich sage, der Mensch ist ein Ver­nunft­we­sen. Es gibt eine gro­ße Band­brei­te von indi­vi­du­el­len Prä­fe­ren­zen auch beim Rei­sen. Der eine fährt ger­ne Fahr­rad, der ande­re geht ger­ne zu Fuß, der drit­te fährt ger­ne Auto. Natür­lich gibt es über die Zeit Ver­schie­bun­gen. Ich bin nur der Mei­nung, dass der Mensch ein gewis­ses Gen dafür hat, bequem zu sein. Wenn es eine Lösung gibt, die mich beque­mer von A nach B bringt, ist er im Zwei­fels­fall sogar bereit, mehr Geld dafür auszugeben.

H. Mon­heim: Der Mensch ist ein Bewe­gungs­tier. Und des­we­gen ist es eine Illu­si­on zu glau­ben, dass die­se tota­le Unbe­weg­lich­keit, die wir im Moment in unse­rer autis­ti­schen Mobi­li­täts­ge­sell­schaft haben, zukunfts­fä­hig ist. Men­schen gehen ins Fit­ness­stu­dio, fah­ren Fahr­rad, gehen wan­dern. Es gibt eine Lust an Bewe­gung und es ist ganz ent­schei­dend, ob aus die­ser Lust etwas ver­kehrs­po­li­tisch Rele­van­tes wird. Ob wir mit dem öffent­li­chen Raum anders umge­hen oder ob wir wei­ter zulas­sen, dass der von 160 Mil­lio­nen Stell­plät­zen in Deutsch­land blo­ckiert ist, sodass es kei­ne Bewe­gung gibt, weil über­all Autos herumstehen.

L. Thom­sen: Es geht doch viel­mehr um die Fra­ge, wie kom­for­ta­bel oder schnell wir an unser Ziel kom­men. Schau­en wir doch noch ein­mal auf das The­ma Inno­va­tio­nen. Es dreht sich um die Offen­heit dafür wie wir mit neu­er Tech­no­lo­gie, die ein­fach da sein wird, umge­hen. Bei­spiel: Die Schwei­ze­ri­schen Bun­des­bah­nen SBB füh­ren im Moment Gesprä­che mit Lili­um Jet. Lili­um baut eine klei­ne Pas­sa­gier­droh­ne, die in cir­ca fünf Jah­ren in der Lage sein wird, senk­recht zu star­ten und zu lan­den und Men­schen 300 Kilo­me­ter weit zu beför­dern. Die SBB dis­ku­tie­ren dar­über, ob sie Lan­de­plät­ze auf ihren gro­ßen Bahn­hö­fen ein­rich­ten, damit die Rei­sen­den ein­fach vom Zug in eine Droh­ne umstei­gen kön­nen und jeden Punkt in der Schweiz ohne Stau errei­chen können.

H. Mon­heim: Aber das ist doch uto­pisch. Mil­lio­nen Schwei­zer in der Luft.

L. Thom­sen: Nein, jeder hat doch heu­te die Mög­lich­keit zu ent­schei­den, ob er vom Bahn­hof aus zu Fuß geht, mit dem Fahr­rad, mit der Tram, mit einem Bus oder dem Taxi fährt. Jetzt kommt eine wei­te­re Mög­lich­keit dazu.

H. Mon­heim: Aber die­se Mög­lich­keit ist illu­so­risch, wenn sie die Flä­chen betrach­ten. Der Luft­raum ja nicht unbe­grenzt. Ich kann mir in einer Stadt hun­dert Droh­nen noch vor­stel­len, aber kei­ne 100.000 bei­spiels­wei­se über Ber­lin. Wir müs­sen uns, wie so oft, fra­gen: Was ist der limi­tie­ren­de Fak­tor? Der limi­tie­ren­de Fak­tor ist immer und immer wie­der der Raum, in dem die­se ver­schie­de­nen kon­kur­rie­ren­den Ansprü­che auf­ein­an­der treffen. 

L. Thom­sen: Wir haben über 40 Pro­jek­te in den letz­ten fünf Jah­ren gemacht, die sich genau mit die­sem The­men beschäf­ti­gen. Die­se auto­no­men Droh­nen neh­men wesent­lich weni­ger Ver­kehrs­flä­che ein, weil sie einen viel höhe­ren Nut­zungs­grad haben.

H. Mon­heim: Wir wol­len Ver­kehrs­pro­ble­me lösen. In Deutsch­land unter­neh­men Men­schen 2,7 Fahr­ten am Tag. Wie vie­le von die­sen 82 Mil­lio­nen Men­schen mal 2,7 Fahr­ten sol­len denn bit­te mit Droh­nen stattfinden?

L. Thom­sen: Ein Hun­derts­tel? Ich weiß das nicht, das wird die Zukunft zei­gen. Nur eine gene­rel­le Sper­rung gegen die­se Tech­no­lo­gie bringt nichts.

„Das wer­den unse­re Kin­der als ver­rückt betrachten.“ 

Flie­gen ist ener­gie­in­ten­siv. Um Kli­ma­schutz­zie­le im Ver­kehr errei­chen zu kön­nen, müs­sen wir den Ener­gie­ein­satz im Ver­kehr sehr stark redu­zie­ren, damit es ein­fa­cher ist auf rege­ne­ra­ti­ve Ener­gie­quel­len umzu­stei­gen. Müs­sen wir uns nicht viel­leicht beschrän­ken? Ein Flug­ta­xi wäre tech­nisch mög­lich, wir wür­den es auch bezah­len, aber wir nut­zen es doch nicht aus einem Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl heraus?

L. Thom­sen: Rege­ne­ra­ti­ve Ener­gie wird in unge­fähr 800 Wochen die domi­nan­te Ener­gie­er­zeu­gungs­form für alle drei Sek­to­ren welt­weit sein. Wir haben mehr als genü­gend Poten­zi­al, um die gesam­te Ener­gie­ver­sor­gung auf der gan­zen Welt auf rege­ne­ra­ti­ven Res­sour­cen umzu­stel­len. Gro­ße Ener­gie­ver­sor­ger und Netz­be­trei­ber gehen davon aus, dass wir 2035 in Euro­pa eine Quo­te von erneu­er­ba­ren Ener­gi­en von 250 Pro­zent des Bedarfs haben. Und der Ener­gie­ver­brauch einer elek­tri­schen Droh­ne wie Lili­um ist nied­rig. Die fliegt mit 85 Kilo­watt­stun­den 300 Kilo­me­ter weit. Das ist unge­fähr so viel wie ein Elek­tro­au­to ver­braucht. Es gibt also kei­ne Beschrän­kung, die wir tech­nisch oder ener­gie­tech­nisch haben. Das reden wir uns nur ein. Die Zukunft wird zei­gen, wie stark Men­schen noch der Ver­su­chung erlie­gen, ihre Mobi­li­tät mög­lichst kom­for­ta­bel und ein­fach zu gestal­ten. Einen Mobi­li­täts­au­tis­mus sehe ich über­haupt nicht, sie kön­nen ihre Ent­schei­dun­gen ja frei und viel­fäl­tig treffen.

H. Mon­heim: Sie sind aber an die Beschrän­kun­gen und Beschränkt­heit heu­ti­ger Rea­li­tät gebun­den. Und auch wie sich unse­re Gesell­schaft orga­ni­siert spielt eine ganz gro­ße Rol­le. Im All­tag ist der Mensch nicht als sin­gu­lä­res Indi­vi­du­um unter­wegs. Das ist ja nun der Grund, war­um wir alle die­se Ver­kehrs­pro­ble­me haben. Mil­lio­nen und Aber­mil­lio­nen rei­hen sich täg­lich in den Stau ein, weil ihr Leben so orga­ni­siert ist, dass es zu sehr gro­ßen Strö­men von A nach B kommt. Wir haben auch noch nicht viel über den Fuß- und Fahr­rad­ver­kehr gespro­chen, obwohl auch das eine Zukunft hat und die Mar­gi­na­li­sie­rung die­ser bei­den Ver­kehrs­ar­ten in der Ver­gan­gen­heit ein­fach ein Rie­sen­feh­ler war. Die Qua­li­tät des öffent­li­chen Rau­mes ist ganz ent­schei­dend dafür wie sich der Mensch im öffent­li­chen Raum ver­hält und es gibt eine gro­ße Sehn­sucht nach Schön­heit und nach gut gestal­te­ten Außenräumen.

L. Thom­sen: Da gebe ich Ihnen recht. Und es ist sogar noch mehr als das. Ich glau­be, dass die gro­ßen Metro­pol­re­gio­nen und Städ­te zuneh­mend in einen Wett­be­werb unter­ein­an­der um die bes­te Lebens­qua­li­tät kom­men. Wir haben den demo­gra­fi­schen Wan­del, wir haben eine Kon­kur­renz um Gewer­be­an­sied­lun­gen und Fach­kräf­te. Es ist ein gro­ßer Unter­schied, ob ich in einer Stadt die Vögel zwit­schern höre oder ob ich enor­men Stress wegen Lärm und ande­ren Emis­sio­nen habe.

H. Mon­heim: Aber wenn mein Vor­gar­ten vol­ler Autos oder Droh­nen ist, die da abge­stellt wer­den, dann habe ich dort kein Grün. Die­sen Platz für Grün und öffent­li­che Räu­me kön­nen wir nur zurück­er­obern, wenn wir viel weni­ger Blech haben. Egal ob es vier­räd­ri­ges Blech ist oder eine Droh­ne. Das ist alles Müll, der da rum­steht. Und wenn wir unse­re Land­schaft ver­müllen, dann wer­den wir nicht mehr froh und glück­lich. Das fängt die Gesell­schaft all­mäh­lich an zu kapie­ren. Ein Por­sche ist zwar schö­ner Müll, aber er ist Müll.

L. Thom­sen: Ich glau­be ein­fach nicht, dass wir eine homo­ge­ne Gesell­schaft haben. Genau­so wie das ganz indi­vi­du­el­le Lebens­kon­zep­te gibt, wird es auch sehr indi­vi­du­el­le Mobi­li­täts­kon­zep­te geben.

H. Mon­heim: Da bin ich bei Ihnen. Der eine geht lang­sam, der ande­re schnel­ler. Darf ich Ihnen eine Fra­ge stel­len? Wenn sie vor ihrer Haus­tü­re tre­ten, wie vie­le abge­stell­te Autos sehen Sie dann?

L. Thom­sen: Schwie­ri­ge Fra­ge. Ich woh­ne in einem Haus mit meh­re­ren Par­tei­en. In der Gara­ge ste­hen ins­ge­samt acht Autos.

H. Mon­heim: Unter­ir­disch oder oberirdisch?

L. Thom­sen: Unter­ir­disch.

H. Mon­heim: Sehen Sie, ein Groß­teil unse­rer Stadt hat das nicht. Weder die Innen­städ­te noch die Grün­der­zeit­vier­tel haben Tief­ga­ra­gen. Also ste­hen die Autos dort alle auf dem Geh­weg rum.

L. Thom­sen: Ja, das ist ver­rückt. Das wer­den unse­re Kin­der als ver­rückt betrach­ten. Allein die Tat­sa­che, dass man ein Auto kau­fen, betrei­ben, ver­si­chern, mit Win­ter- und Som­mer­rei­fen aus­stat­ten und dann jeden Tag auf Park­platz­su­che gehen muss. Das wird sich sicher­lich ändern. Heu­te haben wir aber vie­le Men­schen, für die indi­vi­du­el­le Mobi­li­tät der­zeit — trotz aller Wid­rig­kei­ten — nicht anders mög­lich ist. Sobald es eine Alter­na­ti­ve wie auto­ma­ti­sier­te Fahr­diens­te gibt, wird es den indi­vi­du­el­len Ver­kehr in den Städ­ten welt­weit enorm verändern.

H. Mon­heim: Da bin ich abso­lut bei Ihnen.

L. Thom­sen: Der öffent­li­che Ver­kehr hat damit eine Her­aus­for­de­rung. Sobald es eine der­ar­ti­ge Alter­na­ti­ve gibt, wird sich jeder die Fra­ge stel­len, wel­che von den bei­den Alter­na­ti­ven er neh­men möch­te. Was ist güns­ti­ger, was ist kom­for­ta­bler? Dar­um sage ich: Wir müs­sen den öffent­li­chen Ver­kehr enorm stär­ken, er braucht Geld, um die­se Inno­va­ti­on mit­ma­chen zu können.

“Die indi­vi­du­el­le Inno­va­ti­ons­be­reit­schaft ist sehr hoch.”

Was wären die ver­kehrs­po­li­ti­schen Wei­chen­stel­lun­gen um dort hinzukommen?

H. Mon­heim: Die ent­schei­den­de Grund­fra­ge im Ver­kehr ist immer, wofür gibt es wie viel Geld. Für den Fuß­ver­kehr müs­sen Sie lan­ge suchen. Für Rad­schnell­we­ge ste­hen jähr­lich 25 Mil­lio­nen Euro bereit — ein Kilo­me­ter kos­tet im güns­tigs­ten Fall eine Mil­li­on Euro. Wir brau­chen davon 7.000 Kilo­me­ter. Im Jahr 2300 wird wahr­schein­lich ein ers­tes Netz von Wegen wirk­lich rea­li­siert sein. Das ist ein Witz. Logi­scher­wei­se bedeu­tet doch Ver­kehrs­wen­de, wir hören auf ein wahn­sin­ni­ges Geld in unse­re Auto­stra­ßen­in­fra­struk­tur zu ste­cken. Wir geben im Moment mas­sen­haft Geld für den sechs­spu­ri­gen Aus­bau von Auto­bah­nen aus — was soll der Blöd­sinn? Wir wol­len weni­ger Autos. Also brau­chen wir doch eine Voll­brem­sung, was das bis­he­ri­ge Aus­ga­be­ver­hal­ten der öffent­li­chen Haus­hal­te für Ver­kehr angeht. Aber das ist eine Tabu­dis­kus­si­on mit dem Tot­schlag­ar­gu­ment der Auto­mo­bil­in­dus­trie. Die Inno­va­ti­ons­be­reit­schaft die­ses High­tech-Lan­des Deutsch­land ist im Mobi­li­täts­be­reich extrem gering. Die ein­zi­gen, die krea­tiv sind, sind ver­ein­zel­te Kom­mu­nen. Aber auch dort ist es immer noch eher die Aus­nah­me als die Regel.

L. Thom­sen: Kann ich nur zustim­men. In Deutsch­land ist in den letz­ten Jahr­zehn­ten ein poli­ti­sches Ungleich­ge­wicht zwi­schen der För­de­rung der Auto­in­dus­trie als Leit­in­dus­trie mit den dor­ti­gen Arbeits­plät­zen und dem öffent­li­chen Ver­kehr erzeugt wor­den. Man muss in kom­ple­xen Sys­te­men den­ken kön­nen, um ein Sys­tem aus Gesell­schaft, Mobi­li­tät, Stadt­ent­wick­lung, Ent­wick­lung des länd­li­chen Rau­mes in einen Kon­text zu brin­gen, der wirk­lich funk­tio­niert. Das ist hier in der Schweiz deut­lich bes­ser gelun­gen — sei es bei För­de­rung oder Innovation. 

Wird die Welt der Mobi­li­tät in Zukunft eine bes­se­re sein, sich nicht wirk­lich wan­deln oder am Ende sogar schlech­ter, weil wir es nicht schaf­fen die über­ge­ord­ne­ten Her­aus­for­de­run­gen zu lösen?

L. Thom­sen: Ich bin der Mei­nung, dass das Bes­se­re des Guten Feind ist. Inno­va­ti­on ist tat­säch­lich ein Trei­ber, der Men­schen anspornt, sich auf die Suche zu bege­ben, wie sie zum Bei­spiel ihre Mobi­li­täts­be­dürf­nis­se am bes­ten bestrei­ten kön­nen. Ich glau­be, es wäre gut einen Wett­be­werb unter den Städ­ten oder den Regio­nen um die bes­ten Kon­zep­te zu bekom­men. Ich bin mir ziem­lich sicher, dass wir in den nächs­ten Jah­ren eine Rei­he von Inno­va­tio­nen in der gan­zen Welt sehen wer­den. Neue Kon­zep­te aus Sin­ga­pur, Chi­na oder Indi­en, die sich rela­tiv schnell ver­brei­ten wer­den. Wir leben nun mal in der glo­ba­li­sier­ten Welt. Ich hof­fe, dass wir dann auch in der Lage sind, zu ler­nen und gute Kon­zep­te von andern­orts bei uns zu inte­grie­ren. Inso­fern bin ich schon eher auf der posi­ti­ven Sei­te. Ich glau­be nicht, dass unse­re Mobi­li­tät in den nächs­ten Jah­ren unbe­dingt schlech­ter wird. Die Fra­ge ist nur, ob Deutsch­land sich an die Spit­ze set­zen kann oder ob wir die Nach­züg­ler sind. Viel­leicht soll­te man ein­fach mehr Mut for­dern, auch Din­ge auszuprobieren.

H. Mon­heim: Das wäre schön. Unser Pro­blem ist nicht die indi­vi­du­el­le Inno­va­ti­ons­be­reit­schaft, die ist sehr groß. Unser Pro­blem ist, dass der Mobi­li­täts­be­reich ganz viel von öffent­li­chen Ent­schei­dun­gen abhängt. Ich kann mir sel­ber den Rad­weg nicht kau­fen. Des­we­gen hän­gen wir in der gan­zen Mobi­li­täts­po­li­tik ent­schei­dend von der Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit der öffent­li­chen Sys­te­me und in gewis­ser Wei­se auch der Wirt­schaft ab. Wir hän­gen in der Mobi­li­tät ent­schei­dend von recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen und infra­struk­tu­rel­len Rand­be­din­gun­gen ab, die die öffent­li­che Hand zu regeln hat. Und da ist mei­ne Hoff­nung doch sehr viel kleiner.


Interview

Hei­ner Mon­heim ist seit 2011 eme­ri­tier­ter Pro­fes­sor für ange­wand­te Geo­gra­phie, Raum­ent­wick­lung und Lan­des­pla­nung. Sei­ne Schwer­punk­te sind Städ­te­bau und Mobi­li­tät, ins­be­son­de­re Fuß‑, Rad- und öffent­li­cher Ver­kehr. Er ist Mit­be­grün­der des raum­kom-Insti­tuts für Raum­ent­wick­lung und Kommunikation. 

Lars Thom­sen ist ein welt­weit gefrag­ter Trend- und Zukunfts­for­scher. Er ist Grün­der und Chief Futu­rist des Schwei­zer Think Tanks future mat­ters, der Unter­neh­men, Insti­tu­tio­nen und regie­rungs­na­he Stel­len berät. Sei­ne Kern­ge­bie­te sind Ener­gie, Mobi­li­tät und Smart Networks. 

Was wäre, wenn…

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Im 4. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Personenverkehr. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alter­na­ti­ven für die Gesellschaft sicht­bar zu machen und poten­zi­el­le Lösun­gen ins Zen­trum zu rücken.

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