Aus dem 5. Teil der was wäre wenn-Reihe:
Was wäre, wenn Social Media den Nutzer*innen gehören würde?
Es ist sicher keine Neuigkeit, dass die Aufmerksamkeitsökonomie eine Suchtökonomie ist. Bereits 2004 machte das Patrick Le Lay, der ehemalige CEO von TF1, dem ältesten französischen Privatsender, klar, als er seinen Kolleg*innen und Landsleuten Folgendes verkündete: „Was wir an Coca-Cola verkaufen, ist verfügbare menschliche Gehirnzeit.“ Nichts sei schwieriger, als dieser Verfügbarkeit das Feld zu bereiten und sie selbst zu erlangen. Die Message ist die Massage. Permanente Konditionierung des Verstandes. Es geht um Werbung, nicht mehr und nicht weniger.
2004 war auch das Jahr, in dem ein beflissener Programmierer und Psychologie-Student aus Harvard, der nunmehr berühmte Mark Zuckerberg, „The Facebook“ kreierte, ein soziales Netzwerk, das das Internet von Grund auf veränderte und die Kunst, menschliche Gehirnzeit zu verkaufen, auf das nächste Level anhob. Mitbegründer Sean Parker, der in dem Film „The Social Network“ aus dem Jahr 2010 von Justin Timberlake gespielt wird, und dem nachgesagt wird, dass er für das Weglassen des lästigen bestimmten Artikels „The“ vor „Facebook“ verantwortlich ist, gab kürzlich zu, dass Facebook von Anfang an darauf angelegt war, süchtig zu machen: „Es ist ein feedback loop der sozialen Bestätigung … genau das Ding, das sich ein Hacker wie ich ausdenken würde; es beutet eine Verletzlichkeit in der menschlichen Psychologie aus.“ [1] Diese Verlautbarung kam zu einer Zeit, in der Facebook wegen der über Jahre hinweg angesammelten enormen Datenmengen und deren Potential, zukünftiges Verhalten vorauszusagen und dem damit verbundenen Verlust der ohnehin schon sehr geschrumpften Privatsphäre, bei Politikerinnen und Bürgern rund um die Welt immer mehr in die Kritik geriet. Was würde man nicht alles tun für die Aussicht einer niemals endenden Serie digital-induzierter milder Dopamin-Hits?
Der Social-Media-Abgrund
Das Geschäftsmodell des Internets der Gegenwart beruht auf einer Mischung von Datenerbeutung und organisierter Ablenkung. Die Architekturen der Social Media sind darauf angelegt, uns eingefangen zu halten, unter voller Ausnutzung des Netzwerkeffektes. Willkommen in dem, was Geert Lovink den „Social-Media-Abgrund“ nennt. Wir alle haben die Geschichten der Silicon-Valley-Angestellten gehört, die die Bildschirmzeit ihrer Kinder beschränken und die sich aus den Plattformen ausklinken, die sie selbst mit aufgebaut haben. Oder der wachsenden Zahl von Leuten, die auf digitale Entgiftungskur gehen, um sich von einem Zustand „permanenter Teilaufmerksamkeit“ zu befreien und ihre mit dem Netz verbundenen Angstsymptome zu mildern. Das folgt dem urmodernen Prinzip, dass, wenn einmal das Internet die Zuflucht vor der realen Welt war, es nun die reale Welt ist, die eine Zuflucht vor dem Internet bietet.
Die gesammelten Daten, die wir durch unsere plattformgemäßen Interaktion generieren, werden gebündelt und später auf den Märkten für zukünftiges Verhalten gehandelt. Dieser Vorgang definiert ein Regime, das die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff als „Überwachungskapitalismus“ bezeichnet hat. Daten sind das neue Öl. Das neue Kapital – das Digital! Einige Optimist*innen der Daten-getriebenen Märkte verlangen einen „New Deal für Daten“, ein progressives Datenumverteilungsmandat als Antwort auf die gegenwärtige Monopolisierung von Big Data, und wollen die zwangsmäßige Teilung mit anderen Start-Ups und öffentlichen Akteurinnen und Akteuren. [2] Diese reformerische Position ist interessant, obgleich sie schlicht die extraktive Praxis ersetzen will und nicht auf das Problem eingeht, dass ein großer Teil der Daten, die eingesammelt werden, von vorneherein gar nicht existieren sollte.
Für viele von uns geht das zwanghafte Überfliegen von neu eintreffenden Informationen, Emails und Benachrichtigungen mit prekären Arbeitsbedingungen einher, die uns dazu zwingen, unsere Aufmerksamkeit in Echtzeit auf zahllose Plattformen aufzuteilen, um am Ball zu bleiben. Es ist naiv zu glauben, wir könnten diese Medienlandschaft einfach hinter uns lassen. Die Art und Weise, in der wir uns selbst und die Welt begreifen, ist durch die neuen Netzwerktechnologien von Grund auf verändert. Unsere sozialen Medien sind nicht bloß Kommunikationsmittel. Sie sind Teil des Beziehungsgeflechts unseres Lebens. Ihre Infrastruktur ist unsere subjektive Infrastruktur. Es gibt keine klare Unterscheidung zwischen einem objektiven, technologischen Außen und einem subjektiven Innen. Menschen sind Medienmutant*innen, ob wir es wollen oder nicht. Wir sollten uns besser daran gewöhnen, dass, wie Thomas Lamarre in seinem Buch „Anime Ecology“ vorschlägt, wir uns in diesem geschlossenen, völlig gesättigten, wirbelstromartigen Aufmerksamkeitsfeld nur zurechtfinden werden, wenn wir uns als selbst-berauschende Mediensubjekte akzeptieren.
Was wünschen sich Nutzer*innen selbst?
Ich habe das Suchtmoment hervorgehoben, das in den Kern unserer Medienökologie eingebettet ist, weil es das erste Element ist, von dem ich mir vorstellen kann, dass es einigermaßen leicht in Angriff genommen werden könnte, wenn die sozialen Medien Gemeineigentum und im Sinne der Nutzer*innen veränderbar würden. Nicht alle rekursiven Rückkopplungsschleifen müssen süchtig machen. Aber diese Betonung auf persönliche und individuelle Antworten auf die strukturellen Bedingungen einer Medienumwelt ist nur zum Teil hinreichend.
Die Medienökonomie braucht ein strukturelles reset. Es gibt einfach zu viele Externalitäten, als dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem damit fertig werden könnte. Alle wissen das, aber es ist schwierig etwas zu tun. Wir müssen das business as usual außer Kraft setzen; wir müssen die ökonomischen Strukturen, die uns im Bann und in Schach halten, verwüsten und lahmlegen. Was würden die Nutzer*innen für sich selbst wünschen, wenn sie die Chance hätten, ihre eigenen sozialen Plattformen zu entwerfen? Was für öffentliche Regeln könnten vereinbart werden, um Konzerne zu zwingen, die algorithmische black box der Aufmerksamkeitsökonomie aufzuschließen? Wie könnten Netzwerkplattformen zu dichtbevölkerten P2P-Gemeinwesen werden?
Die Europäische Union, gemeinsam mit einer Unzahl von Stimmen aus dem Silicon Valley und Legionen von Programmier*innen-Communities, hat seit Kurzem damit begonnen, das Prinzip der Datensouveränität hervorzuheben, bei der Daten als gemeinsames Gut der Bürger*innen betrachtet werden, die auf offenen Plattformen zu verwalten und zu schützen sind. Aber wie vorher erwähnt, ist es nicht einfach eine Frage der besseren Regulierung des Eigentums an Daten, sondern es geht darum, die ganze politische Ökonomie der Extraktion von Verhaltensmustern zu verändern. Wie Shoshana Zuboff erklärt:
„Nutzer bekommen möglicherweise den ‚Besitz‘ auf die Daten zugesprochen, die sie den Überwachungskapitalisten vorher ausgehändigt haben, aber sie haben kein Anrecht auf den aus den Daten herausgezogenen Mehrwert oder auf die Prognosen – jedenfalls nicht ohne neue rechtliche Begriffe, die auf dem Verständnis dieser Vorgänge aufgebaut sind.“ [3]
Selbst Venture-Kapitalisten geben nach
Datensouveränität verweist daher auf die erweiterte Vorstellung von network governance, der Aufsicht oder Verwaltung von Netzwerken, ein Thema das in den letzen Jahren durch das Erscheinen von Blockchain und anderer distributed-ledger-Technologien (DLT) an Bedeutung gewonnen hat. Mittlerweile sind Beschreibungen der Blockchain wohl einigermaßen bekannt: Es geht um eine verteilte, dezentralisierte Buchführung, die Transaktionen auf unveränderbare Weise registriert; im Prinzip das Führen von Einträgen mit einem integrierten Zeitstempel. Diese verifizierbaren Buchhaltungsmaschinen ermöglichen die dezentrale Registrierung von Daten und stellen so eine Herausforderung für zentralisierte Wertschöpfungsmodelle dar.
Verteilte Buchführung ist bisher hauptsächlich in Hinblick auf crypto currencies, Krypto-Währungen, von Bedeutung. Aber interessanter ist es, sie als verfassungsmäßige oder institutionelle Ordnungen aufzufassen, als Protokolle für die Transaktionen ökonomischer oder politischer Art zwischen Individuen, Firmen, oder Algorithmen. In diesem Sinne sind Blockchains vergleichbar mit Rechtssystemen oder Staaten. Wie Staaten haben auch Blockchains Regierungssysteme, meist open-source-Protokolle, die festlegen, wie Individuen miteinander kommunizieren und Transaktionen ausführen.
DLT haben eine Epoche des Experimentierens mit der Bildung von Kollektiven im Netz ausgelöst; eine massive kooperative Renaissance des Internets für die Suche nach neuen Wegen zur Konsensfindung in digitalen Ökosystemen. Die Hoffnung ist hier, dass Blockchain-Technologie, über den kryptographischen erzeugten Konsens, eine technische Lösung für die Probleme der Vertrauensbildung und Kooperation in sehr großen digitalen Kollektiven darstellt. Letztendlich, was häufig als „Wert-Internet“ (internet of value) bezeichnet wird, wird in der Zukunft neue Formen des kollektiven Eigentums und der gemeinschaftlichen Teilhabe an Vermögenswerten ermöglichen, durch verschiedene Formen von tokenisierten Wrappern. Laut Andreesen Horowitz, einer einflussreichen Venture-Capital-Firma im Bereich des Krypto-Investments, werden cryptonetworks eine neuartige Form von digitaler Plattform ermöglichen, die im Gegensatz zu den heutigen zentral verwalteten Plattformen im Besitz der Gemeinschaft ihrer Nutzer und Entwicklerinnen ist und die von ihnen verwaltet wird. [4] Wenn sogar die Venture-Kapitalisten eine Ära der intensiven Kollaboration verkünden, ist offenbar etwas im Gange (oder ist das etwa eine neue Version der Gaukelei mit der „sharing economy“?).
Die Kunst der Blockchain
Immer mehr Menschen experimentieren mit neuen Logiken und Protokollen der Selbstorganisation, sie akzeptieren und erfinden dabei unterschiedliche netzwerkbasierte P2P-Modelle für Verwaltung und Wertschöpfung. Sind wir auf dem Weg, wie Lovink und Rossiter sagen, zu „organiserten Netzwerken“ oder zu „Netzwerken mit Konsequenzen“? Was sind die verschiedenen techno-sozialen Elemente, die diese neuen Formen ausmachen, die die Unveränderlichkeit einer gemeinsam-geteilten Vergangenheit mit der Programmierbarkeit einer frei vergemeinschafteten Zukunft verbinden?
Die Unterscheidung zwischen digitalen Gemeinschaften und der Organisation von Wertschöpfung – und Wertentdeckung – wird zunehmend unscharf. Ein gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie eine neue Generation von Künstler*innen im Bereich der Blockchain tätig wird und neue Betriebe und andere kooperative Unternehmen mit den Instrumenten der Kunst hervorbringt. Kunst suggeriert hier die generative Informalität des sozialen Lebens und den Prozess der Erkundung neuer Arten der Formalisierung des Sozialen. Worum es hier aus der krypto-finanziellen Perspektive geht, ist der eigentliche Prozess der Körperschaftsgründung, d.h. der Körperschaftswerdung, die dann letztlich den stabilen Wert eines ökonomischen Gutes aufnehmen und sicherstellen kann.
Was sich durch Blockchain-basierte Ökonomien ändert, und zwar auf eine Weise, die bisher noch schwer genau zu fassen ist, ist dass Tokens mit Verwaltungs- und Entscheidungsrechten eine neue Art von Vermögensgütern darstellen, eine neue Wertform. Krypto-Netzwerkverwaltung – mit den dazugehörigen Datenmengen – ist Kapital. Diese neuen sozialen Formationen oder digitalen Körperschaftsbildungen konstituieren, was die Economic Space Agency (ECSA) das ökonomische Feld nennt.
„Die Organisation des ‚gemeinsam Wagens und Spekulierens‘ wird nun zur eigentlichen Wertschöpfungsschicht. Dies ist eine neue Wertform, die von der Warenform als einer Grundeinheit der Ökonomie völlig verschieden ist. (…) Von nun an wird im Prinzip mit anderen Gemeinschaft-Ökonomie-Verwaltungen konkurriert. Die explizit relationale Logik dieser neuen Wertform ist genau das, was wir erfassen möchten, wenn wir vom ökonomischen Feld als einem Derivat des Netzes sprechen.“ [5]
Gemeinsam die Relationsmittel besitzen
„Gemeinsam wagen und spekulieren“: Wie verhält sich das zur Aufmerksamkeitsökonomie? Wie ändern sich unsere Aufmerksamkeitspraktiken, wenn für uns etwas auf dem Spiel steht in den sozialen Netzwerken, denen wir ohnehin schon ganz und gar zugehören? Wenn wir unsere sozialen Medien repolitisieren wollen und sie als gestaltbare und bewohnbare Milieus betrachten, brauchen wir einen Paradgimenwechsel von einer Aufmerksamkeitsökonomie zu einer Aufmerksamkeitsökologie.
Die Aufmerksamkeitsökonomie, die den Vorgaben des homo oeconomicus folgt, setzt in der Regel die individualisierte Aufmerksamkeit als ein bereits vorhandenenes Element voraus. Stattdessen legt die Aufmerksamkeitsökologie die Betonung auf die Kräfte, die das Individuum und die sozialen Beziehungen zu allererst bestimmen. Teil von sozialen Netzen zu sein ist schon immer eine wesentliche Voraussetzung gewesen für die Teilnahme an inspirierenden Strömungen des Denkens und Machens. Wert liegt nicht so sehr auf der Seite des Einzelnen, sondern in dessen Beziehungslandschaft. Das Persönliche ist finanziell. Das Finanzielle ist ökologisch. Kryptokommunist*innen aller Länder, vereinigt euch! Blockchain bedeutet, dass wir gemeinsam die Relationsmittel besitzen können.
Die Organisation von gemeinschaftlicher Aufmerksamkeit ist ein transversales Projekt, das eine Politik und einer Ästhetik der Aufmerksamkeit benötigt. Eine der Schlüssel-Herausforderungen ist die Frage der Größenordnung, exemplifiziert durch die Entwicklung von Initiativen von Blockchain-basierten verteilten autonomen Organisation (distributed autonomous ourganization, DAO). Jenseits der Frage des einfachen Konsenses über gemeinsam geteilte Daten, welche Art von techno-sozialer Rekursion (oder welches Ritual) und Membranen der kollektiven Individuierung (Zugehörigkeit im Werden) können wir uns für transnational-disjunktive Kollektive (häufiger auch digital tribes genannt) vorstellen?
Zusammenkommen, ohne Eins zu werden
In einer Welt, die auf akkumulierte soziale Fragmentation zusteuert, ist die Art und Weise in der wir neue techno-soziale Modelle der Koordination entwickeln, von entscheidender Bedeutung. Wie Yves Citton in seinem grundlegenden Werk „Towards an Ecology of Attention“ausführt, ist „die grundlegende Herausforderung, vom kleinen Maßstab der präsenzgebundenen Kollektive zum großen Maßstab der Medienaggregate überzugehen.“ [6]
Ökonomien bestehen aus verschiedenen Arten von Strömen, die eine Verflüssigung verkörperter Werte darstellen. Um diese Ströme zu registrieren, verwenden wir Dinge wie Geld, einen spezifischen Code, den wir auch als Währung bezeichnen. Vielleicht liegt die Lösung zur erneuten Verfremdung unserer Ökonomie darin, die kapitalistische Mono-Ökonomie in eine Unzahl lebender Krypto-Währungen aufzubrechen, die sozio-finanzielle Netzwerke auf neue Art koordinieren können?
Die Hauptsache ist hier, dass wir Geld nicht bloß als externen ökonomischen Faktor gleichbedeutend mit Wertabschöpfung und ‑akkumulation auffassen, sondern auch als immanenten Attraktor, der komplett in unsere Medienlandschaft integriert ist und der unser Aufmerksamkeitsmilieu auf bedeutsame Weise gestaltet. Politische Autonomie im 21. Jahrhundert beinhaltet die Kunst, Attraktoren für unser eigenes Verhalten zu setzen. Bei der Krypto-Ökonomie geht es grundsätzlich darum, unterschiedliche Anreize aufzustellen, um Verhalten und Betragen auf diverse Ziele auszurichten. Die Möglichkeiten der Blockchain zur vielfältigen Geldprägung erscheinen als ein Weg, um unsere gemeinschaftliche Körperschaftsbildung zu erneuern, die Art und Weise, in der wir zusammenkommen ohne Eins zu werden und dabei Wert generieren.
Diese Utopie ist sehr lebendig in der Krypto-Welt und verheißt, die Konfiguration unserer sozialen Medien von Grund auf zu verändern. Bringt uns etwa die Holochain eine sichere und verteilte Infrastruktur und rettet so den ursprünglichen Traum vom dezentralen Internet? Gelingt es vielleicht Brave, einem vollkommen dezentralisierten Internetbrowser mit eigener Krypto-Währung in Form von Aufmerksamkeitstokens, Basic Attention Tokens oder BAT, das gegenwärtige Modell der Werbung im Netz, das aus dem Industriezeitalter stammt, grundlegend zu verändern und die Aufmerksamkeitsökonomie auf den Kopf zu stellen?
Unsere Ökonomie der Aufmerksamkeit
Im Moment stecken die meisten Blockchain-Projekte und dezentralisierten Apps noch in den Kinderschuhen. Sie müssen sich bald etablieren, wenn sie ihren Markt nicht von der nächsten Generation von Konzern-Plattformen überschwemmt sehen wollen. Oder etwa sogar von einem modernisierten Facebook?
Gerade kürzlich, Ende Juni 2019, hat Facebook seine eigene stablecoin Libra angekündigt, ein eigenes Zahlungsmittel, das demnächst eine neue Ära der Prosperität für das berühmt-berüchtigte soziale Netzwerk auslösen könnte. Als grenzenlose Währung ohne Transaktionsgebühren, solange die Nutzung innerhalb des Facebook-Ökosystems erfolgt, würde Libra Facebook ein noch detaillierteres Verständnis der Konsumgewohnheiten seiner Nutzer*innen zur nochmaligen Verstärkung der Werbungsalgorithmen erlauben, die die Kommodifizierung unserer Aufmerksamkeit vorantreibt.
Dieser Service würde zuerst dort angeboten werden, wo er am meisten gebraucht würde, etwa so wie der Wlan-Zugang, den Facebook in den unterversorgten Gebieten der Welt anbietet. Die Spekulationen überschlagen sich: „Facebook-Angestellten, so wird berichtet, soll angeboten werden, einen Teil ihrer Gehälter wahlweise in den Tokens ausgezahlt zu bekommen, ein Detail, das Victoria Song von Gizmodo die Wiederauferstehung des ‚Traums von der konzerneigenen Arbeitersiedlung‘ im Digitalzeitalter“ nennt. [7]
„Regierungen in aller Welt werden die Facebook-eigene Krypto-Währung als einen gigantischen Honigtopf von Daten betrachten – wie die Nutzer von Facebook ihre Geld ausgeben, mit all dem, was das für private Transaktionen und das Erklären von Steuern impliziert; bei staatlichem Zugriff auf diesen Datenschatz wäre jede Transaktion im Einzelnen sichtbar und verfolgbar.“ [8]
Diese Entwicklung verdient tatsächlich unsere Aufmerksamkeit.
Übersetzung: Ignacio Choi
Autor*in
Erik Bordeleau arbeitet als Forscher für das SenseLab der Concordia Universität in Montreal und das Center for Arts, Business & Culture der Stockholm School of Economics. Seine Arbeit behandelt die Schnittstellen von politischer Philosophie, Medien- und Finanztheorie, zeitgenössischer Kunst und Filmwissenschaft. Bordeleau arbeitet außerdem für die Economic Space Agency (ECSA) und entwickelt derzeit The Sphere, eine p2p-Community-Plattform für den Kunstbereich.
Was wäre, wenn…
… Social Media den Nutzer*innen gehören würde?
Im 5. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Social Media Nutzer*innen. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alternativen für die Gesellschaft sichtbar zu machen und potenzielle Lösungen ins Zentrum zu rücken.
Jedes Thema wird mit einer was wäre wenn-Frage eröffnet und anschließend in Essays, Interviews und in einem begleitenden Podcast diskutiert. Zum Wesenskern unseres Magazins gehört die Pluralität der Stimmen und Perspektiven. Die Inhalte werden deshalb, neben journalistischen Beiträgen, vor allem von Expert*innen aus Wissenschaften, Praxis und Zivilgesellschaft verfasst.
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