Kryptokommunist*innen aller Länder, vereinigt euch!

Face­book beu­tet aus — und wir sind davon süch­tig. Die Lösung? Struk­tu­ren ver­wüs­ten, neu begin­nen und mit Hil­fe der Block­chain-Tech­no­lo­gie Netz­wer­ke auf­bau­en, die allen gehören. Ein Beitrag von Erik Bordeleau.
soziale medien regulieren
Aus dem 5. Teil der was wäre wenn-Reihe:

Was wäre, wenn Social Media den Nutzer*innen gehören würde?

Es ist sicher kei­ne Neu­ig­keit, dass die Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie eine Sucht­öko­no­mie ist. Bereits 2004 mach­te das Patrick Le Lay, der ehe­ma­li­ge CEO von TF1, dem ältes­ten fran­zö­si­schen Pri­vat­sen­der, klar, als er sei­nen Kolleg*innen und Lands­leu­ten Fol­gen­des ver­kün­de­te: ​„Was wir an Coca-Cola ver­kau­fen, ist ver­füg­ba­re mensch­li­che Gehirn­zeit.“ Nichts sei schwie­ri­ger, als die­ser Ver­füg­bar­keit das Feld zu berei­ten und sie selbst zu erlan­gen. Die Mes­sa­ge ist die Mas­sa­ge. Per­ma­nen­te Kon­di­tio­nie­rung des Ver­stan­des. Es geht um Wer­bung, nicht mehr und nicht weniger.

2004 war auch das Jahr, in dem ein beflis­se­ner Pro­gram­mie­rer und Psy­cho­lo­gie-Stu­dent aus Har­vard, der nun­mehr berühm­te Mark Zucker­berg, ​„The Face­book“ kre­ierte, ein sozia­les Netz­werk, das das Inter­net von Grund auf ver­än­der­te und die Kunst, mensch­li­che Gehirn­zeit zu ver­kau­fen, auf das nächs­te Level anhob. Mit­be­grün­der Sean Par­ker, der in dem Film ​„The Soci­al Net­work“ aus dem Jahr 2010 von Jus­tin Tim­ber­la­ke gespielt wird, und dem nach­ge­sagt wird, dass er für das Weg­las­sen des läs­ti­gen bestimm­ten Arti­kels ​„The“ vor ​„Face­book“ ver­ant­wort­lich ist, gab kürz­lich zu, dass Face­book von Anfang an dar­auf ange­legt war, süch­tig zu machen: ​„Es ist ein feed­back loop der sozia­len Bestä­ti­gung … genau das Ding, das sich ein Hacker wie ich aus­den­ken wür­de; es beu­tet eine Ver­letz­lich­keit in der mensch­li­chen Psy­cho­lo­gie aus.“ [1] Die­se Ver­laut­ba­rung kam zu einer Zeit, in der Face­book wegen der über Jah­re hin­weg ange­sam­mel­ten enor­men Daten­men­gen und deren Poten­ti­al, zukünf­ti­ges Ver­hal­ten vor­aus­zu­sa­gen und dem damit ver­bun­de­nen Ver­lust der ohne­hin schon sehr geschrumpf­ten Pri­vat­sphä­re, bei Poli­ti­ke­rin­nen und Bür­gern rund um die Welt immer mehr in die Kri­tik geriet. Was wür­de man nicht alles tun für die Aus­sicht einer nie­mals enden­den Serie digi­tal-indu­zier­ter mil­der Dopamin-Hits? 

Der Soci­al-Media-Abgrund

Das Geschäfts­mo­dell des Inter­nets der Gegen­wart beruht auf einer Mischung von Datener­beu­tung und orga­ni­sier­ter Ablen­kung. Die Archi­tek­tu­ren der Soci­al Media sind dar­auf ange­legt, uns ein­ge­fan­gen zu hal­ten, unter vol­ler Aus­nut­zung des Netz­werk­ef­fek­tes. Will­kom­men in dem, was Geert Lovink den ​„Soci­al-Media-Abgrund“ nennt. Wir alle haben die Geschich­ten der Sili­con-Val­ley-Ange­stell­ten gehört, die die Bild­schirm­zeit ihrer Kin­der beschrän­ken und die sich aus den Platt­for­men aus­klin­ken, die sie selbst mit auf­ge­baut haben. Oder der wach­sen­den Zahl von Leu­ten, die auf digi­ta­le Ent­gif­tungs­kur gehen, um sich von einem Zustand ​„per­ma­nen­ter Teil­auf­merk­sam­keit“ zu befrei­en und ihre mit dem Netz ver­bun­de­nen Angst­sym­pto­me zu mil­dern. Das folgt dem urmo­der­nen Prin­zip, dass, wenn ein­mal das Inter­net die Zuflucht vor der rea­len Welt war, es nun die rea­le Welt ist, die eine Zuflucht vor dem Inter­net bietet. 

Die gesam­mel­ten Daten, die wir durch unse­re platt­form­ge­mä­ßen Inter­ak­ti­on gene­rie­ren, wer­den gebün­delt und spä­ter auf den Märk­ten für zukünf­ti­ges Ver­hal­ten gehan­delt. Die­ser Vor­gang defi­niert ein Regime, das die US-ame­ri­ka­ni­sche Wirt­schafts­wis­sen­schaft­le­rin Shosha­na Zuboff als ​„Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus“ bezeich­net hat. Daten sind das neue Öl. Das neue Kapi­tal – das Digi­tal! Eini­ge Optimist*innen der Daten-getrie­be­nen Märk­te ver­lan­gen einen ​„New Deal für Daten“, ein pro­gres­si­ves Daten­um­ver­tei­lungs­man­dat als Ant­wort auf die gegen­wär­ti­ge Mono­po­li­sie­rung von Big Data, und wol­len die zwangs­mä­ßi­ge Tei­lung mit ande­ren Start-Ups und öffent­li­chen Akteu­rin­nen und Akteu­ren. [2] Die­se refor­me­ri­sche Posi­ti­on ist inter­es­sant, obgleich sie schlicht die extrak­ti­ve Pra­xis erset­zen will und nicht auf das Pro­blem ein­geht, dass ein gro­ßer Teil der Daten, die ein­ge­sam­melt wer­den, von vor­ne­her­ein gar nicht exis­tie­ren sollte. 

Für vie­le von uns geht das zwang­haf­te Über­flie­gen von neu ein­tref­fen­den Infor­ma­tio­nen, Emails und Benach­rich­ti­gun­gen mit pre­kä­ren Arbeits­be­din­gun­gen ein­her, die uns dazu zwin­gen, unse­re Auf­merk­sam­keit in Echt­zeit auf zahl­lo­se Platt­for­men auf­zu­tei­len, um am Ball zu blei­ben. Es ist naiv zu glau­ben, wir könn­ten die­se Medi­en­land­schaft ein­fach hin­ter uns las­sen. Die Art und Wei­se, in der wir uns selbst und die Welt begrei­fen, ist durch die neu­en Netz­werk­tech­no­lo­gi­en von Grund auf ver­än­dert. Unse­re sozia­len Medi­en sind nicht bloß Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel. Sie sind Teil des Bezie­hungs­ge­flechts unse­res Lebens. Ihre Infra­struk­tur ist unse­re sub­jek­ti­ve Infra­struk­tur. Es gibt kei­ne kla­re Unter­schei­dung zwi­schen einem objek­ti­ven, tech­no­lo­gi­schen Außen und einem sub­jek­ti­ven Innen. Men­schen sind Medienmutant*innen, ob wir es wol­len oder nicht. Wir soll­ten uns bes­ser dar­an gewöh­nen, dass, wie Tho­mas Lamar­re in sei­nem Buch ​„Ani­me Eco­lo­gy“ vor­schlägt, wir uns in die­sem geschlos­se­nen, völ­lig gesät­tig­ten, wir­bel­strom­ar­ti­gen Auf­merk­sam­keits­feld nur zurecht­fin­den wer­den, wenn wir uns als selbst-berau­schen­de Medi­en­sub­jek­te akzeptieren.

Was wün­schen sich Nutzer*innen selbst?

Ich habe das Sucht­mo­ment her­vor­ge­ho­ben, das in den Kern unse­rer Medi­en­öko­lo­gie ein­ge­bet­tet ist, weil es das ers­te Ele­ment ist, von dem ich mir vor­stel­len kann, dass es eini­ger­ma­ßen leicht in Angriff genom­men wer­den könn­te, wenn die sozia­len Medi­en Gemein­ei­gen­tum und im Sin­ne der Nutzer*innen ver­än­der­bar wür­den. Nicht alle rekur­si­ven Rück­kopp­lungs­schlei­fen müs­sen süch­tig machen. Aber die­se Beto­nung auf per­sön­li­che und indi­vi­du­el­le Ant­wor­ten auf die struk­tu­rel­len Bedin­gun­gen einer Medi­en­um­welt ist nur zum Teil hinreichend. 

Die Medi­en­öko­no­mie braucht ein struk­tu­rel­les reset. Es gibt ein­fach zu vie­le Exter­na­li­tä­ten, als dass das gegen­wär­ti­ge Wirt­schafts­sys­tem damit fer­tig wer­den könn­te. Alle wis­sen das, aber es ist schwie­rig etwas zu tun. Wir müs­sen das busi­ness as usu­al außer Kraft set­zen; wir müs­sen die öko­no­mi­schen Struk­tu­ren, die uns im Bann und in Schach hal­ten, ver­wüs­ten und lahm­le­gen. Was wür­den die Nutzer*innen für sich selbst wün­schen, wenn sie die Chan­ce hät­ten, ihre eige­nen sozia­len Platt­for­men zu ent­wer­fen? Was für öffent­li­che Regeln könn­ten ver­ein­bart wer­den, um Kon­zer­ne zu zwin­gen, die algo­rith­mi­sche black box der Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie auf­zu­schlie­ßen? Wie könn­ten Netz­werk­platt­for­men zu dicht­be­völ­ker­ten P2P-Gemein­we­sen werden?

Die Euro­päi­sche Uni­on, gemein­sam mit einer Unzahl von Stim­men aus dem Sili­con Val­ley und Legio­nen von Programmier*innen-Communities, hat seit Kur­zem damit begon­nen, das Prin­zip der Daten­sou­ve­rä­ni­tät her­vor­zu­he­ben, bei der Daten als gemein­sa­mes Gut der Bürger*innen betrach­tet wer­den, die auf offe­nen Platt­for­men zu ver­wal­ten und zu schüt­zen sind. Aber wie vor­her erwähnt, ist es nicht ein­fach eine Fra­ge der bes­se­ren Regu­lie­rung des Eigen­tums an Daten, son­dern es geht dar­um, die gan­ze poli­ti­sche Öko­no­mie der Extrak­ti­on von Ver­hal­tens­mus­tern zu ver­än­dern. Wie Shosha­na Zuboff erklärt: 

„Nut­zer bekom­men mög­li­cher­wei­se den ​‚Besitz‘ auf die Daten zuge­spro­chen, die sie den Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­ten vor­her aus­ge­hän­digt haben, aber sie haben kein Anrecht auf den aus den Daten her­aus­ge­zo­ge­nen Mehr­wert oder auf die Pro­gno­sen – jeden­falls nicht ohne neue recht­li­che Begrif­fe, die auf dem Ver­ständ­nis die­ser Vor­gän­ge auf­ge­baut sind.“ [3]

Selbst Ven­ture-Kapi­ta­lis­ten geben nach

Daten­sou­ve­rä­ni­tät ver­weist daher auf die erwei­ter­te Vor­stel­lung von net­work gover­nan­ce, der Auf­sicht oder Ver­wal­tung von Netz­wer­ken, ein The­ma das in den let­zen Jah­ren durch das Erschei­nen von Block­chain und ande­rer dis­tri­bu­t­ed-led­ger-Tech­no­lo­gi­en (DLT) an Bedeu­tung gewon­nen hat. Mitt­ler­wei­le sind Beschrei­bun­gen der Block­chain wohl eini­ger­ma­ßen bekannt: Es geht um eine ver­teil­te, dezen­tra­li­sier­te Buch­füh­rung, die Trans­ak­tio­nen auf unver­än­der­ba­re Wei­se regis­triert; im Prin­zip das Füh­ren von Ein­trä­gen mit einem inte­grier­ten Zeits­tem­pel. Die­se veri­fi­zier­ba­ren Buch­hal­tungs­ma­schi­nen ermög­li­chen die dezen­tra­le Regis­trie­rung von Daten und stel­len so eine Her­aus­for­de­rung für zen­tra­li­sier­te Wert­schöp­fungs­mo­del­le dar. 

Ver­teil­te Buch­füh­rung ist bis­her haupt­säch­lich in Hin­blick auf cryp­to cur­ren­ci­es, Kryp­to-Wäh­run­gen, von Bedeu­tung. Aber inter­es­san­ter ist es, sie als ver­fas­sungs­mä­ßi­ge oder insti­tu­tio­nel­le Ord­nun­gen auf­zu­fas­sen, als Pro­to­kol­le für die Trans­ak­tio­nen öko­no­mi­scher oder poli­ti­scher Art zwi­schen Indi­vi­du­en, Fir­men, oder Algo­rith­men. In die­sem Sin­ne sind Block­chains ver­gleich­bar mit Rechts­sys­te­men oder Staa­ten. Wie Staa­ten haben auch Block­chains Regie­rungs­sys­te­me, meist open-source-Pro­to­kol­le, die fest­le­gen, wie Indi­vi­du­en mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren und Trans­ak­tio­nen ausführen. 

DLT haben eine Epo­che des Expe­ri­men­tie­rens mit der Bil­dung von Kol­lek­ti­ven im Netz aus­ge­löst; eine mas­si­ve koope­ra­ti­ve Renais­sance des Inter­nets für die Suche nach neu­en Wegen zur Kon­sens­fin­dung in digi­ta­len Öko­sys­te­men. Die Hoff­nung ist hier, dass Block­chain-Tech­no­lo­gie, über den kryp­to­gra­phi­schen erzeug­ten Kon­sens, eine tech­ni­sche Lösung für die Pro­ble­me der Ver­trau­ens­bil­dung und Koope­ra­ti­on in sehr gro­ßen digi­ta­len Kol­lek­ti­ven dar­stellt. Letzt­end­lich, was häu­fig als ​„Wert-Inter­net“ (inter­net of value) bezeich­net wird, wird in der Zukunft neue For­men des kol­lek­ti­ven Eigen­tums und der gemein­schaft­li­chen Teil­ha­be an Ver­mö­gens­wer­ten ermög­li­chen, durch ver­schie­de­ne For­men von toke­ni­sier­ten Wrap­pern. Laut And­ree­sen Horo­witz, einer ein­fluss­rei­chen Ven­ture-Capi­tal-Fir­ma im Bereich des Kryp­to-Invest­ments, wer­den cryp­to­net­works eine neu­ar­ti­ge Form von digi­ta­ler Platt­form ermög­li­chen, die im Gegen­satz zu den heu­ti­gen zen­tral ver­wal­te­ten Platt­for­men im Besitz der Gemein­schaft ihrer Nut­zer und Ent­wick­le­rin­nen ist und die von ihnen ver­wal­tet wird. [4] Wenn sogar die Ven­ture-Kapi­ta­lis­ten eine Ära der inten­si­ven Kol­la­bo­ra­ti­on ver­kün­den, ist offen­bar etwas im Gan­ge (oder ist das etwa eine neue Ver­si­on der Gau­ke­lei mit der ​„sharing eco­no­my“?).

Die Kunst der Blockchain

Immer mehr Men­schen expe­ri­men­tie­ren mit neu­en Logi­ken und Pro­to­kol­len der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, sie akzep­tie­ren und erfin­den dabei unter­schied­li­che netz­werk­ba­sier­te P2P-Model­le für Ver­wal­tung und Wert­schöp­fung. Sind wir auf dem Weg, wie Lovink und Ros­si­ter sagen, zu ​„orga­nis­er­ten Netz­wer­ken“ oder zu ​„Netz­wer­ken mit Kon­se­quen­zen“? Was sind die ver­schie­de­nen tech­no-sozia­len Ele­men­te, die die­se neu­en For­men aus­ma­chen, die die Unver­än­der­lich­keit einer gemein­sam-geteil­ten Ver­gan­gen­heit mit der Pro­gram­mier­bar­keit einer frei ver­ge­mein­schaf­te­ten Zukunft verbinden?

Die Unter­schei­dung zwi­schen digi­ta­len Gemein­schaf­ten und der Orga­ni­sa­ti­on von Wert­schöp­fung – und Wert­ent­de­ckung – wird zuneh­mend unscharf. Ein gutes Bei­spiel dafür ist die Art und Wei­se, wie eine neue Genera­ti­on von Künstler*innen im Bereich der Block­chain tätig wird und neue Betrie­be und ande­re koope­ra­ti­ve Unter­neh­men mit den Instru­men­ten der Kunst her­vor­bringt. Kunst sug­ge­riert hier die gene­ra­ti­ve Infor­ma­li­tät des sozia­len Lebens und den Pro­zess der Erkun­dung neu­er Arten der For­ma­li­sie­rung des Sozia­len. Wor­um es hier aus der kryp­to-finan­zi­el­len Per­spek­ti­ve geht, ist der eigent­li­che Pro­zess der Kör­per­schafts­grün­dung, d.h. der Kör­per­schaftswer­dung, die dann letzt­lich den sta­bi­len Wert eines öko­no­mi­schen Gutes auf­neh­men und sicher­stel­len kann. 

Was sich durch Block­chain-basier­te Öko­no­mi­en ändert, und zwar auf eine Wei­se, die bis­her noch schwer genau zu fas­sen ist, ist dass Tokens mit Ver­wal­tungs- und Ent­schei­dungs­rech­ten eine neue Art von Ver­mö­gens­gü­tern dar­stel­len, eine neue Wert­form. Kryp­to-Netz­werk­ver­wal­tung – mit den dazu­ge­hö­ri­gen Daten­men­gen – ist Kapi­tal. Die­se neu­en sozia­len For­ma­tio­nen oder digi­ta­len Kör­per­schafts­bil­dun­gen kon­sti­tu­ie­ren, was die Eco­no­mic Space Agen­cy (ECSA) das öko­no­mi­sche Feld nennt.

„Die Orga­ni­sa­ti­on des ​‚gemein­sam Wagens und Spe­ku­lie­rens‘ wird nun zur eigent­li­chen Wert­schöp­fungs­schicht. Dies ist eine neue Wert­form, die von der Waren­form als einer Grund­ein­heit der Öko­no­mie völ­lig ver­schie­den ist. (…) Von nun an wird im Prin­zip mit ande­ren Gemein­schaft-Öko­no­mie-Ver­wal­tun­gen kon­kur­riert. Die expli­zit rela­tio­na­le Logik die­ser neu­en Wert­form ist genau das, was wir erfas­sen möch­ten, wenn wir vom öko­no­mi­schen Feld als einem Deri­vat des Net­zes spre­chen.“ [5]

Gemein­sam die Rela­ti­ons­mit­tel besitzen

„Gemein­sam wagen und spe­ku­lie­ren“: Wie ver­hält sich das zur Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie? Wie ändern sich unse­re Auf­merk­sam­keits­prak­ti­ken, wenn für uns etwas auf dem Spiel steht in den sozia­len Netz­wer­ken, denen wir ohne­hin schon ganz und gar zuge­hö­ren? Wenn wir unse­re sozia­len Medi­en repo­li­ti­sie­ren wol­len und sie als gestalt­ba­re und bewohn­ba­re Milieus betrach­ten, brau­chen wir einen Para­dgi­men­wech­sel von einer Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie zu einer Auf­merk­sam­keitsöko­lo­gie.

Die Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie, die den Vor­ga­ben des homo oeco­no­mi­cus folgt, setzt in der Regel die indi­vi­dua­li­sier­te Auf­merk­sam­keit als ein bereits vor­han­de­ne­nes Ele­ment vor­aus. Statt­des­sen legt die Auf­merk­sam­keits­öko­lo­gie die Beto­nung auf die Kräf­te, die das Indi­vi­du­um und die sozia­len Bezie­hun­gen zu aller­erst bestim­men. Teil von sozia­len Net­zen zu sein ist schon immer eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung gewe­sen für die Teil­nah­me an inspi­rie­ren­den Strö­mun­gen des Den­kens und Machens. Wert liegt nicht so sehr auf der Sei­te des Ein­zel­nen, son­dern in des­sen Bezie­hungs­land­schaft. Das Per­sön­li­che ist finan­zi­ell. Das Finan­zi­el­le ist öko­lo­gisch. Kryptokommunist*innen aller Län­der, ver­ei­nigt euch! Block­chain bedeu­tet, dass wir gemein­sam die Rela­ti­ons­mit­tel besit­zen können. 

Die Orga­ni­sa­ti­on von gemein­schaft­li­cher Auf­merk­sam­keit ist ein trans­ver­sa­les Pro­jekt, das eine Poli­tik und einer Ästhe­tik der Auf­merk­sam­keit benö­tigt. Eine der Schlüs­sel-Her­aus­for­de­run­gen ist die Fra­ge der Grö­ßen­ord­nung, exem­pli­fi­ziert durch die Ent­wick­lung von Initia­ti­ven von Block­chain-basier­ten ver­teil­ten auto­no­men Orga­ni­sa­ti­on (dis­tri­bu­t­ed auto­no­mous our­ga­ni­za­ti­on, DAO). Jen­seits der Fra­ge des ein­fa­chen Kon­sen­ses über gemein­sam geteil­te Daten, wel­che Art von tech­no-sozia­ler Rekur­si­on (oder wel­ches Ritu­al) und Mem­bra­nen der kol­lek­ti­ven Indi­vi­du­ie­rung (Zuge­hö­rig­keit im Wer­den) kön­nen wir uns für trans­na­tio­nal-dis­junk­ti­ve Kol­lek­ti­ve (häu­fi­ger auch digi­tal tri­bes genannt) vorstellen?

Zusam­men­kom­men, ohne Eins zu werden

In einer Welt, die auf akku­mu­lier­te sozia­le Frag­men­ta­ti­on zusteu­ert, ist die Art und Wei­se in der wir neue tech­no-sozia­le Model­le der Koor­di­na­ti­on ent­wi­ckeln, von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Wie Yves Citton in sei­nem grund­le­gen­den Werk ​„Towards an Eco­lo­gy of Atten­ti­on“aus­führt, ist ​„die grund­le­gen­de Her­aus­for­de­rung, vom klei­nen Maß­stab der prä­senz­ge­bun­de­nen Kol­lek­ti­ve zum gro­ßen Maß­stab der Medi­en­ag­gre­ga­te über­zu­ge­hen.“ [6]

Öko­no­mi­en bestehen aus ver­schie­de­nen Arten von Strö­men, die eine Ver­flüs­si­gung ver­kör­per­ter Wer­te dar­stel­len. Um die­se Strö­me zu regis­trie­ren, ver­wen­den wir Din­ge wie Geld, einen spe­zi­fi­schen Code, den wir auch als Wäh­rung bezeich­nen. Viel­leicht liegt die Lösung zur erneu­ten Ver­frem­dung unse­rer Öko­no­mie dar­in, die kapi­ta­lis­ti­sche Mono-Öko­no­mie in eine Unzahl leben­der Kryp­to-Wäh­run­gen auf­zu­bre­chen, die sozio-finan­zi­el­le Netz­wer­ke auf neue Art koor­di­nie­ren können?

Die Haupt­sa­che ist hier, dass wir Geld nicht bloß als exter­nen öko­no­mi­schen Fak­tor gleich­be­deu­tend mit Wert­ab­schöp­fung und ‑akku­mu­la­ti­on auf­fas­sen, son­dern auch als imma­nen­ten Attrak­tor, der kom­plett in unse­re Medi­en­land­schaft inte­griert ist und der unser Auf­merk­sam­keits­mi­lieu auf bedeut­sa­me Wei­se gestal­tet. Poli­ti­sche Auto­no­mie im 21. Jahr­hun­dert beinhal­tet die Kunst, Attrak­to­ren für unser eige­nes Ver­hal­ten zu set­zen. Bei der Kryp­to-Öko­no­mie geht es grund­sätz­lich dar­um, unter­schied­li­che Anrei­ze auf­zu­stel­len, um Ver­hal­ten und Betra­gen auf diver­se Zie­le aus­zu­rich­ten. Die Mög­lich­kei­ten der Block­chain zur viel­fäl­ti­gen Geld­prä­gung erschei­nen als ein Weg, um unse­re gemein­schaft­li­che Kör­per­schafts­bil­dung zu erneu­ern, die Art und Wei­se, in der wir zusam­men­kom­men ohne Eins zu wer­den und dabei Wert generieren. 

Die­se Uto­pie ist sehr leben­dig in der Kryp­to-Welt und ver­heißt, die Kon­fi­gu­ra­ti­on unse­rer sozia­len Medi­en von Grund auf zu ver­än­dern. Bringt uns etwa die Holochain eine siche­re und ver­teil­te Infra­struk­tur und ret­tet so den ursprüng­li­chen Traum vom dezen­tra­len Inter­net? Gelingt es viel­leicht Bra­ve, einem voll­kom­men dezen­tra­li­sier­ten Inter­net­brow­ser mit eige­ner Kryp­to-Wäh­rung in Form von Auf­merk­sam­keits­to­kens, Basic Atten­ti­on Tokens oder BAT, das gegen­wär­ti­ge Modell der Wer­bung im Netz, das aus dem Indus­trie­zeit­al­ter stammt, grund­le­gend zu ver­än­dern und die Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie auf den Kopf zu stellen?

Unse­re Öko­no­mie der Aufmerksamkeit 

Im Moment ste­cken die meis­ten Block­chain-Pro­jek­te und dezen­tra­li­sier­ten Apps noch in den Kin­der­schu­hen. Sie müs­sen sich bald eta­blie­ren, wenn sie ihren Markt nicht von der nächs­ten Genera­ti­on von Kon­zern-Platt­for­men über­schwemmt sehen wol­len. Oder etwa sogar von einem moder­ni­sier­ten Face­book?

Gera­de kürz­lich, Ende Juni 2019, hat Face­book sei­ne eige­ne sta­ble­coin Libra ange­kün­digt, ein eige­nes Zah­lungs­mit­tel, das dem­nächst eine neue Ära der Pro­spe­ri­tät für das berühmt-berüch­tig­te sozia­le Netz­werk aus­lö­sen könn­te. Als gren­zen­lo­se Wäh­rung ohne Trans­ak­ti­ons­ge­büh­ren, solan­ge die Nut­zung inner­halb des Face­book-Öko­sys­tems erfolgt, wür­de Libra Face­book ein noch detail­lier­te­res Ver­ständ­nis der Kon­sum­ge­wohn­hei­ten sei­ner Nutzer*innen zur noch­ma­li­gen Ver­stär­kung der Wer­bungs­al­go­rith­men erlau­ben, die die Kom­mo­di­fi­zie­rung unse­rer Auf­merk­sam­keit vorantreibt. 

Die­ser Ser­vice wür­de zuerst dort ange­bo­ten wer­den, wo er am meis­ten gebraucht wür­de, etwa so wie der Wlan-Zugang, den Face­book in den unter­ver­sorg­ten Gebie­ten der Welt anbie­tet. Die Spe­ku­la­tio­nen über­schla­gen sich: ​„Face­book-Ange­stell­ten, so wird berich­tet, soll ange­bo­ten wer­den, einen Teil ihrer Gehäl­ter wahl­wei­se in den Tokens aus­ge­zahlt zu bekom­men, ein Detail, das Vic­to­ria Song von Giz­mo­do die Wie­der­auf­er­ste­hung des ​‚Traums von der kon­zern­ei­ge­nen Arbei­ter­sied­lung‘ im Digi­tal­zeit­al­ter“ nennt. [7]

„Regie­run­gen in aller Welt wer­den die Face­book-eige­ne Kryp­to-Wäh­rung als einen gigan­ti­schen Honig­topf von Daten betrach­ten – wie die Nut­zer von Face­book ihre Geld aus­ge­ben, mit all dem, was das für pri­va­te Trans­ak­tio­nen und das Erklä­ren von Steu­ern impli­ziert; bei staat­li­chem Zugriff auf die­sen Daten­schatz wäre jede Trans­ak­ti­on im Ein­zel­nen sicht­bar und ver­folg­bar.“ [8]

Die­se Ent­wick­lung ver­dient tat­säch­lich unse­re Aufmerksamkeit. 

Über­set­zung: Igna­cio Choi


Autor*in

Erik Borde­leau arbei­tet als For­scher für das Sen­se­Lab der Con­cordia Uni­ver­si­tät in Mont­re­al und das Cen­ter for Arts, Busi­ness & Cul­tu­re der Stock­holm School of Eco­no­mics. Sei­ne Arbeit behan­delt die Schnitt­stel­len von poli­ti­scher Phi­lo­so­phie, Medi­en- und Finanz­theo­rie, zeit­ge­nös­si­scher Kunst und Film­wis­sen­schaft. Borde­leau arbei­tet außer­dem für die Eco­no­mic Space Agen­cy (ECSA) und ent­wi­ckelt der­zeit The Sphe­re, eine p2p-Com­mu­ni­ty-Platt­form für den Kunstbereich. 

Was wäre, wenn…

… Social Media den Nutzer*innen gehören würde?

Im 5. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Social Media Nutzer*innen. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alter­na­ti­ven für die Gesellschaft sicht­bar zu machen und poten­zi­el­le Lösun­gen ins Zen­trum zu rücken.

Jedes Thema wird mit einer was wäre wenn-Frage eröffnet und anschließend in Essays, Interviews und in einem begleitenden Podcast diskutiert. Zum Wesenskern unseres Magazins gehört die Pluralität der Stimmen und Perspektiven. Die Inhalte werden deshalb, neben journalistischen Beiträgen, vor allem von Expert*innen aus Wissenschaften, Praxis und Zivilgesellschaft verfasst.

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