“Technologie darf kein Selbstzweck sein”

Intel­li­gent, digi­tal, nach­hal­tig: Wien gilt mit sei­ner Smart-City-Stra­te­gie als Vor­bild. Wir haben mit Pla­nungs­di­rek­tor Tho­mas Madrei­ter über die Stadt von mor­gen gesprochen. Das Interview führte Daniela Becker.
Nachhaltig Klima Smart City
Aus dem 6. Teil der was wäre wenn-Reihe:

Was wäre, wenn Städte gut für das Klima wären?

Wien ist die lebens­wer­tes­te Stadt der Welt. Das zumin­dest behaup­tet das bri­ti­sche Maga­zin The Eco­no­mist, das Anfang Sep­tem­ber sein jähr­li­ches Ran­king ver­öf­fent­licht hat. Bereits 2018 lan­de­te die öster­rei­chi­sche Haupt­stadt auf Platz 1 im Index der Eco­no­mist Intel­li­gence Unit (EIU). Was also hat Wien, was ande­re Städ­te nicht haben? Die Ant­wort lau­tet: (unter ande­rem) eine Smart-City-Stra­te­gie.

​“Smart City Wien hat sich der kon­se­quen­ten und kon­ti­nu­ier­li­chen Moder­ni­sie­rung der Stadt ver­schrie­ben, um Ener­gie­ver­brauch und Emis­sio­nen signi­fi­kant zu sen­ken, ohne dabei auf Kon­sum oder Mobi­li­tät ver­zich­ten zu müs­sen”, steht auf der Pro­jekt-Web­site. Kon­kret geht es um das Sam­meln und Ver­ar­bei­ten von Daten, die im öffent­li­chen Raum erho­ben wer­den. Städ­te bekom­men eine ​“digi­ta­le Haut”, die aus einer per­ma­nent von Sen­so­ren abge­tas­te­ten und gemes­se­nen städ­ti­schen Umwelt besteht. Ver­ant­wort­lich für die Smart City ist Tho­mas Madrei­ter, Pla­nungs­di­rek­tor der Stadt Wien.

Herr Madrei­ter, wenn ich mir Ihre Web­site zur Smart City anse­he, bie­tet sie auch ein bun­tes Feld an Pro­jek­ten zur Ver­wen­dung von Mehr­weg­be­chern, nach­hal­ti­ger Fisch­zucht in der Stadt, Grün­fas­sa­den, die eher weni­ger mit der Ver­ar­bei­tung von Daten zu tun haben. Wie sieht Ihre Visi­on von der ​“smar­ten” Stadt Wien aus? Was bedeu­tet smart in die­sem Zusam­men­hang für Sie?

Tho­mas Madrei­ter: Ich bin sehr oft mit die­ser Fra­ge kon­fron­tiert. Es gibt ja kei­ne welt­weit gül­ti­ge Defi­ni­ti­on für ​“Smart City”. Wir haben uns die Fra­ge gestellt, in wel­cher Stadt wol­len wir in Zukunft leben? Wien legt sehr viel Wert dar­auf, eine sozi­al sen­si­ble Stadt zu sein, begin­nend mit dem sozia­len Wohn­bau des Roten Wien vor rund hun­dert Jah­ren, aber auch zahl­rei­chen ande­ren Maß­nah­men. Wien hat gelernt, dass Ver­än­de­rungs­pro­zes­se in Wahr­heit in ers­ter Linie sozia­le Pro­zes­se sind. Der Begriff ​“Smart City” setzt sich aus zwei Kom­po­nen­ten zusam­men: Smart und City. Und Stadt ist in unse­rem Ver­ständ­nis nicht Hard­ware son­dern ein sozia­les Sys­tem – und aus die­sem Ver­ständ­nis her­aus wur­de im Jahr 2014 die Erst­auf­la­ge unse­rer Stra­te­gie defi­niert, die sich im Wesent­li­chen auf drei Säu­len stützt: eine radi­ka­le Res­sour­cen­scho­nung, Tech­no­lo­gie­for­schung und –bil­dung, sowie die Lebens­qua­li­tät und die sozia­len Stan­dards in der Stadt. Wir möch­ten das gleich­ran­gig betrach­ten. Fußend auf die­sem Ziel­ka­non soll unse­re Smart City-Stra­te­gie klu­ges, stra­te­gi­sches Han­deln ermöglichen.

Heißt das, weni­ger Tech­nik ist manch­mal mehr?

Es geht nicht um die Fra­ge: Tech­no­lo­gie, — ja oder nein. Aber wenn man sich diver­se inter­na­tio­na­le Smart-City-Bei­spie­le ansieht, habe ich schon den Ein­druck, dass hier man­ches Mal Tech­no­lo­gie zum Selbst­zweck ver­kommt. Das Ziel vom Smart City Wien ist, bis 2050 den CO2-Aus­stoß um 80 Pro­zent zu redu­zie­ren, also fak­tisch aus Öl und Gas aus­zu­stei­gen. Selbst­ver­ständ­lich wird klu­ges lang­fris­ti­ges Han­deln tech­no­lo­gi­sche Mög­lich­kei­ten nut­zen. Aber schaf­fen wer­den wir es nur mit den Menschen. 

Sie haben die radi­ka­len Zie­le zur Ein­spa­rung öko­lo­gi­scher Res­sour­cen genannt, aber wenn ich das rich­tig sehe gibt es kei­ne abso­lu­ten Ziele?

Wir ori­en­tie­ren uns an Pro-Kopf-Zie­len. Wien ist in den letz­ten 30 Jah­ren um 400.000 Per­so­nen gewach­sen. Wir haben jetzt rund 1,9 Mil­lio­nen Ein­woh­ner. Es macht aus unse­rer Sicht abso­lut Sinn, das auf Pro-Kopf-Wer­te umzu­rech­nen, um hier zu aus­sa­ge­kräf­ti­gen Wer­ten zu kom­men. Es gibt ja Städ­te, die mas­siv Bevöl­ke­rung ver­lie­ren; die müss­ten über­haupt nichts machen und wür­den trotz­dem abso­lut betrach­tet gute Wer­te erzie­len. Das ist ja absurd.

Man könn­te auch hin­ter­fra­gen, wie lan­ge eine Stadt über­haupt wach­sen kann und darf. Ist da nicht irgend­wann ein Punkt erreicht, an dem man sagen muss, dass wir auf dem uns ver­füg­ba­ren Platz kein kli­ma­freund­li­ches Stadt­le­ben und Wirt­schaf­ten ermög­li­chen können? 

Da bin ich bei der Fra­ge der opti­ma­len Grö­ße von Städ­ten äußerst skep­tisch. Es gibt gut orga­ni­sier­te oder schlecht orga­ni­sier­te Städ­ten. Das hat typi­scher­wei­se wenig damit zu tun, ob sie 500.000 Ein­woh­ner, eine Mil­li­on oder zwei Mil­lio­nen Ein­woh­ner haben. Ich rede jetzt bewusst nicht von Mega-Citys, son­dern von mit­tel­eu­ro­päi­schen Dimen­sio­nen wie Wien oder Ber­lin. Als Stadt­pla­ner geht es mir auch um das Prin­zip einer offe­nen Stadt. Über die Hin­ter­tür des Kli­ma- und Res­sour­cen­schut­zes ​“die Roll­la­den dicht” zu machen, hal­te ich für mehr als kon­tra­pro­duk­tiv. Im Übri­gen haben bei The­men wie Land- und Ener­gie­ver­brauch Sied­lungs­for­men im städ­ti­schen Bereich abso­lut das Poten­zi­al die nach­hal­ti­ge­ren For­men zu sein als jene im länd­li­chen Bereich. Das soll jetzt natür­lich nicht hei­ßen, dass alle Men­schen in Groß­städ­ten leben müs­sen. Aber städ­ti­sche Sied­lungs- und Arbeits­for­men erlau­ben die Mög­lich­keit eines effi­zi­en­ten ÖPNV oder Fernwärmelösungen. 

“Kür ist die sozia­le Implementierung”

Sie haben eben gesagt, dass ​“wir das nur mit den Men­schen schaf­fen”. Wie mei­nen Sie das?

Ich will zwei Bei­spiel brin­gen: Wir hat­ten eine Dele­ga­ti­on aus den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten zu Besuch. Im Zuge der Prä­sen­ta­ti­on des ÖPNV hat dann ein Dele­gier­ter sehr rasch gesagt, dass sie sel­ber wis­sen, wie man eine U‑Bahn baut und das viel­leicht sogar schnel­ler kön­nen als wir. Was die inter­es­siert hat, war, wie Wien es schafft, dass von Minis­tern, Stadt­rä­ten, Mana­gern abwärts alle die U‑Bahn benut­zen? Die­se Fra­ge wird sich nicht mit einer opti­mal, weil sen­sor­ge­steur­ten fah­rer­lo­sen U‑Bahn beant­wor­ten las­sen. Der effi­zi­en­te Betrieb ist die Pflicht; die Kür ist die sozia­le Implementierung.

Wir haben in Wien auch kei­ne neue Form der Abfall­wirt­schaft erfun­den, aber einen neu­en sozia­len Zugang eta­bliert. Es geht nicht dar­um, ob ich einen Abfall­ei­mer habe, der über einen Sen­sor ver­fügt und der Abfall­be­sei­ti­gung mit­teilt, dass er voll ist. Unse­re Her­aus­for­de­rung ist es, einen gesell­schaft­li­chen Kon­sens dar­über zu erzie­len, wie ich mit dem Abfall umge­he. Dazu haben wir seit etwa 20 Jah­ren Mist­fes­te, ein Mist­te­le­fon und eige­ne Pro­gram­me an Schu­len, mit denen wir ver­su­chen, die­sen Kon­sens auch bei einem star­ken Zuzug von Bevöl­ke­rungs­grup­pen mit sehr unter­schied­li­chen Erfah­rungs­ho­ri­zon­ten zu halten.

Nut­zen sie denn sen­sor­ge­steu­er­te Abfallkübel? 

Nein. Wir haben der­art kur­ze Ent­lee­rungs­zeit­räu­me, dass wir sowas ein­fach nicht brau­chen. Wir tes­ten aber als ers­te Stadt Öster­reichs ein voll­elek­tri­sches Müllsammelfahrzeug.

Wie lässt sich denn ent­schei­den, was sinn­vol­le Nut­zung von Tech­no­lo­gie ist und was nicht?

Unse­re Smart-City-Stra­te­gie ist sehr ope­ra­tiv gehal­ten. Sie ent­hält über 140 prä­zi­se gefass­te Zie­le, die uns rela­tiv ein­fach ermög­li­chen zu prü­fen, ob Maß­nah­men tat­säch­lich eine Lösung im Sin­ne unse­res Ziel­ka­nons sind. Sehr oft stel­len wir dann fest, dass es sich viel­leicht um inter­es­san­te tech­ni­sche Gad­gets han­delt, die aber für die Errei­chung unse­rer Zie­le von sekun­dä­rer Bedeu­tung sind.

Was wäre für Sie ein Bei­spiel für ein sinn­lo­ses Gadget? 

Es gibt vie­le Ide­en, um den Ver­kehrs­fluss von Autos und die Park­platz­si­tua­ti­on zu opti­mie­ren, zum Bei­spiel in dem unter jedem poten­zi­el­len Stell­platz einen Sen­sor ein­ge­baut wird. Das ist sicher eine gran­dio­se Idee, ins­be­son­de­re für jene, die die­se Tech­no­lo­gie ver­kau­fen. Wir haben uns das ange­schaut und fest­ge­stellt, dass brau­chen wir nicht. Die Wie­ne­rI­in­nen sind bereits jetzt sehr intel­li­gent in der Stadt unter­wegs. Der Groß­teil nutzt die öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel, das Rad oder geht zu Fuß. Man muss nicht alles ein­bau­en, was piept, blinkt und zusätz­lich Strom verbraucht. 

“Wir fra­gen ab, was Erwar­tung und Ängs­te sind”

Ihre Rah­menstra­te­gie betont, dass von der Digi­ta­li­sie­rung mög­lichst alle pro­fi­tie­ren sol­len und Par­ti­zi­pa­ti­on der Bürger*innen wich­tig ist. Die Spann­wei­te, wie sehr Leu­te in digi­ta­len The­men drin sind, ist ja sehr groß. Wie ist es über­haupt mög­lich, Bürger*innen in so einem Bereich par­ti­zi­pie­ren zu lassen?

Bei der Abfas­sung von Stra­te­gie­do­ku­men­ten ist es sicher schwie­ri­ger, an die Bürger*innen ran­zu­kom­men, als bei der Fra­ge wie der Platz vor dem eige­nen Haus gestal­tet wer­den soll. Wir arbei­ten aber auch hier mit Sys­te­men wo wir etwa Doku­men­ten oder Pas­sa­gen dar­aus im Web zur Dis­kus­si­on stellen. 

Wie ist da das Feedback?

Qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig, aber vom Aus­maß her über­schau­bar und eher auf eine Fach­com­mu­ni­ty beschränkt. Das fin­de ich aber nicht negativ.

Was sind wei­te­re Bei­spie­le der Partizipationsgestaltung?

Wir haben zum Bei­spiel vor Kur­zem ein umfang­rei­ches Forum abge­hal­ten, wo wir Bürger*innen in einem sehr frü­hen Sta­di­um zur The­ma­tik des auto­ma­ti­sier­ten Fah­rens infor­mie­ren und abfra­gen, was hier Erwar­tungs­hal­tun­gen und Ängs­te sind. Und dann ach­ten wir ganz inten­siv auf der Pro­jekt- bezie­hungs­wei­se Teil­stra­te­gie­ebe­ne auf die Ein­be­zie­hung der Bürger*innen, wie zum Bei­spiel die Initia­ti­ve Aspern Smart City Rese­arch.

Dort wur­den ein Wohn­ge­bäu­de, ein Wohn­heim für Stu­die­ren­de und ein Bil­dungs­cam­pus mit Pho­to­vol­ta­ik, Solar­ther­mie, Hybrid­an­la­gen, Wär­me­pum­pen sowie ver­schie­de­nen ther­mi­schen und elek­tri­schen Spei­chern, intel­li­gen­ten Mate­ria­li­en, Haus­tech­nik und IT aus­ge­stat­tet. Wie funk­tio­niert dort der Ein­be­zug von Menschen?

Techniker*innen ver­lie­ben sich gern in ihre Model­le und blen­den dabei sehr oft die stö­ren­den real exis­tie­ren­den Nutzer*innen aus. Ich darf das sagen, ich bin sel­ber einer. Wenn wir aber ech­te Ver­än­de­rung schaf­fen wol­len, wer­den wir uns mit den Men­schen aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Das sind sehr unter­schied­li­che Fra­ge­stel­lun­gen, wel­che Ener­gie­ein­spa­rung rein abs­trakt ein tech­ni­sches Sys­tem im Gebäu­de ermög­licht und was der Nut­zer annimmt, was er ablehnt, was er wie nutzt und was ihm zu kom­plex ist. Wir for­schen sozu­sa­gen an einer bürger*innenorientierten Usability. 

Intel­li­gen­te Ampeln, Beschwerde-Apps

Bei Smart-Home-Anwen­dun­gen wird ja oft fest­ge­stellt, dass sie zwar das Leben kom­for­ta­bler machen, aber mit­nich­ten zu einer Reduk­ti­on des Ener­gie­ver­brauchs füh­ren. Wie wirkt man dem entgegen?

Auch hier geht es um Akzep­tanz­for­schung und Sozia­le Imple­men­tie­rungs­for­schung. Es hilft nichts, wenn die Tech­nik sagt, heu­te lan­gen dir 20 Grad Raum­tem­pe­ra­tur, aber bei mir ist eine Grip­pe im Anmarsch und ich möch­te lie­ber 24 Grad haben. Sol­che Tech­nik ist sozi­al inkom­pa­ti­bel. Aus die­sem Bewusst­sein her­aus gilt es Model­le zu ent­wi­ckeln, die bei­de Ziel­set­zun­gen ver­ei­nen. Das lässt sich bei­spiels­wei­se öko­no­misch lösen, indem ich den Nutzer*innen unter­schied­li­che Tarif­mo­del­le anbie­te. Oder man kann den Nutzer*innen anbie­ten, dass sie das Sys­tem über­steu­ern dür­fen, wenn sie dafür etwas mehr bezah­len. Wir ver­su­chen in der Fra­ge nach der sozia­len Akzep­tanz einen Schritt wei­ter­zu­ge­hen, also nicht nur die Fra­ge zu stel­len, was tech­ni­sche Sys­te­me abs­trakt theo­re­tisch ermög­li­chen, son­dern wel­che Effek­te und Kon­se­quen­zen sie in einem real exis­tie­ren­den sozia­len Umfeld ver­mut­lich zei­gen wer­den. Und wie ich im Bewusst­sein die­ser Kon­se­quen­zen das Sys­tem opti­mie­re oder gege­be­nen­falls nachsteuere. 

Was für ​“smar­te” Tech­no­lo­gie nutzt Wien im Bereich der Mobilität?

Ein Bei­spiel ist ein Pro­jekt der TU Graz, das smar­te Ampeln tes­tet, die Fußgänger*innen erken­nen und Rot- und Grün­pha­sen ent­spre­chend schal­ten. Außer­dem reagie­ren die smar­ten Ampeln auch auf den Ver­kehrs­fluss. Ein wei­te­res Bei­spiel ist Fein­steue­rung im Bereich der U‑Bahn. Moder­ne U‑Bahn-Sys­te­me nut­zen die Brems­ener­gie, die bei jedem Brems­vor­gang ent­steht, für die Ener­gie die zum Anfah­ren ande­rer Züge in der Umge­bung benö­tigt wird. Hier erfor­schen wir, wie im Rah­men eines sehr dich­ten U‑Bahn-Inter­valls mit­tels ent­spre­chen­der Tech­no­lo­gie die Brems­ener­gie durch Reku­pera­ti­on noch bes­ser genutzt wer­den kann.

Was wäre ein smar­tes Bei­spiel außer­halb des Energiebereichs?

Ein Bei­spiel ist das For­schungs­pro­jekt im Bereich des ​“ambi­ant assisted living”, also alters­ge­rech­te Assis­tenz­sys­te­me, bei denen es dar­um geht, wie man es älte­ren Men­schen lan­ge ermög­li­chen kann in ihrer Woh­nung zu leben. Sen­so­ren könn­ten zum Bei­spiel über­wa­chen, ob eine Herd­plat­te zu lan­ge ein­ge­schal­tet ist oder eine Haus­tür unge­wöhn­lich lan­ge offen steht oder eine Per­son gestürzt ist. Das gibt es zahl­rei­che Anwen­dun­gen, die im Sin­ne unse­res Ziel­ka­nons die Span­ne ver­län­gern kann, wo eine Per­son selbst­be­stimmt in der ver­trau­ten Umge­bung leben kann und noch nicht in eine Pfle­ge­ein­rich­tung muss. Das ist dann auch für die Stadt sinn­voll, weil es güns­ti­ger ist. Oft muss es aber gar nicht so kom­pli­ziert sein. Wir sind zum Bei­spiel sehr erfolg­reich mit der App ​“Sag’s Wien”. Das ist eine sehr ein­fa­che Anwen­dung, mit der die Bevöl­ke­rung, wenn sie ein Pro­blem in der Stadt wahr­nimmt, wie zum Bei­spiel ein Schlag­loch oder ein Kühl­schrank, der in einem Gewäs­ser liegt, ein Foto sen­den kann. Durch den GPS-Code wis­sen die Zustän­di­gen, wo das ist und kön­nen das Pro­blem beheben.

“Ich muss wis­sen, was ich will”

Auch in Kom­mu­nen und Städ­ten ist die Spann­wei­te sehr groß, was digi­ta­le Kom­pe­tenz angeht. Wie lässt sich ver­hin­dern, dass die Idee der ​“Smart City” von IT-Groß­kon­zer­nen geprägt und domi­niert wird, die durch fin­di­ge Mar­ke­ting­stra­te­gi­en und Ver­käu­fer städ­ti­sches Per­so­nal beeinflussen?

Ich wür­de sagen, dass wir hier in Wien mit IT- und Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne eine Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Augen­hö­he pfle­gen. Ich will es mal bei­spiel­haft for­mu­lie­ren: Mein Ein­kaufs­er­geb­nis wird fun­da­men­tal anders aus­se­hen, wenn ich Frei­tag­abend in den Super­markt gehe, ori­en­tie­rungs­los durch­schlen­de­re und alles in den Ein­kauf­wa­gen lege, weil es so aus­sieht als wenn es schme­cken wür­de. Oder ob ich mir vor­her den Kopf dar­über zer­bro­chen habe, ob ich die­ses Wochen­en­de allei­ne zuhau­se bin oder mei­ne 27-köp­fi­ge Ver­wandt­schaft beko­chen will. Wor­auf ich hin­aus will: Ich muss wis­sen, was ich will. Nur dann bin ich in der Lage das Ange­bot zu fil­tern und mit höhe­rer Wahr­schein­lich­keit das ein­zu­kau­fen, was ich wirk­lich brau­che. Ich will das nicht bana­li­sie­ren. Kom­mu­nen haben eine ganz rele­van­te Ver­ant­wor­tung mit Steu­er­mit­teln spar­sam und effi­zi­ent umzu­ge­hen und das bedeu­tet zu aller­erst, dass wir die Bestel­ler­kom­pe­tenz bei uns hal­ten bezie­hungs­wei­se aus­bau­en müs­sen. Für mich ist es immer ein Alarm­si­gnal, wenn jemand bei mir zur Tür her­ein­kommt und mir erklärt, was mein Bedürf­nis ist. Wenn ich nicht weiß, was mein Bedürf­nis ist, habe ich ein ech­tes Problem. 

Jede IT-Schnitt­stel­le ist immer auch ein Ein­fall­tor für Hacker. Wird Cyber­se­cu­ri­ty aus Ihrer Sicht aus­rei­chend ernst genommen?

Das ist ein sehr rele­van­tes The­ma und auch wie­der ein Grund, war­um wir uns immer die Fra­ge stel­len müs­sen, wel­che und vor allem wie viel IT ich wirk­lich brau­che? Man muss ein­fach wis­sen, dass Sys­te­me dadurch fra­gi­ler und angreif­ba­rer wer­den und in den nächs­ten Jahr­zehn­ten wer­den wir alle mit­ein­an­der sehr stark her­aus­ge­for­dert sein, die Sicher­heit der IT-Sys­te­me zu gewähr­leis­ten. Vie­le Städ­te muss­ten in den letz­ten Jah­ren enor­me Ein­spar­maß­nah­men hin­neh­men. Ich sage das jetzt etwas flap­sig: Wenn Deutsch­land sich als eines der reichs­ten Län­der der Welt mit gesamt­staat­li­chen Bud­get­über­schüs­se in vie­len Gemein­den kei­ne Schwimm­bä­der mehr leis­ten kann, fra­ge ich mich schon wie es in die­sen Gemein­den um die IT-Sicher­heit bestellt ist. 

Netzaktivist*innen wer­den nicht müde, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es wich­tig wäre, bei der Soft­ware Open Source-Lösun­gen zu nut­zen. Wie ist ihre Erfahrung?

Ja, das ist eine Kern­the­ma­tik. Ob ein pro­prie­tä­res Sys­tem ver­wen­det wird, also eines bei dem die
Soft- und Hard­ware auf her­stel­ler­spe­zi­fi­schen, nicht ver­öf­fent­lich­ten Stan­dards basiert oder freie
Soft­ware macht einen rie­sen Unter­schied. Wien hat zum Bei­spiel schon bit­te­re Erfah­run­gen gemacht im Bereich der Ver­kehrs­licht­si­gna­le und deren Steue­rung — zu einem Zeit­punkt zu dem der Begriff ​“Smart City” noch gar nicht erfun­den war. Wir muss­ten müh­sam das gan­ze Sys­tem wie­der umbau­en und haben jetzt offe­ne Schnitt­stel­len und sind damit nicht mehr einem Anbie­ter aus­ge­lie­fert. Auch da benö­tigt es Bestel­ler­kom­pe­tenz und die Fähig­keit mei­ne Ansprü­che adäquat zu formulieren. 

In der Wie­ner Smart-City-Rah­menstra­te­gie wird betont, dass nicht nur die stra­te­gi­sche Pla­nung son­dern auch die Eva­lu­ie­rung von Pro­jek­ten sehr wich­tig ist. Gibt es denn Bei­spie­le, wo Sie fest­ge­stellt haben: Das haben wir uns schön vor­ge­stellt aber hat doch nichts gebracht? 

Das pas­siert per­ma­nent. Wir haben etwa fest­ge­stellt, dass unse­re Zie­le zur Umset­zung der E‑Mobilität erheb­lich zu opti­mis­tisch waren. Da sehen wir den Feh­ler zwar weni­ger bei uns, son­dern bei gesamt­eu­ro­pä­isch feh­len­der Len­kungs­wir­kung bis hin zu, banal gesagt, zu wenig geeig­ne­ten Auto­ty­pen, was es für den Ein­zel­nen unat­trak­tiv macht, umzu­stei­gen. Das sind alles Din­ge, die wir berück­sich­ti­gen müs­sen. Nur durch regel­mä­ßi­ge Über­prü­fung wis­sen wir, ob wir noch auf dem rich­ti­gen Weg sind.


Interview

Tho­mas Madrei­ter ist Pla­nungs­di­rek­tor der Stadt Wien und dort unter ande­rem für die Umset­zung der ​“Smart City Stra­te­gie” zustän­dig. Der gelern­te Raum­pla­ner war zuvor in ver­schie­de­nen Posi­tio­nen der Stadt­ver­wal­tung und an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien tätig. 

Danie­la Becker arbei­tet als freie Jour­na­lis­tin in Mün­chen. Die stu­dier­te Umwelt­wis­sen­schaft­le­rin ist Mit­glied der Riff­Re­por­ter, kura­tiert auf piqd​.de und schreibt unter ande­rem für das Maga­zin enorm über Klimaschutz.

Was wäre, wenn…

… Städte gut für das Klima wären?

Im 6. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Städte und Klima. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alter­na­ti­ven für die Gesellschaft sicht­bar zu machen und poten­zi­el­le Lösun­gen ins Zen­trum zu rücken.

Jedes Thema wird mit einer was wäre wenn-Frage eröffnet und anschließend in Essays, Interviews und in einem begleitenden Podcast diskutiert. Zum Wesenskern unseres Magazins gehört die Pluralität der Stimmen und Perspektiven. Die Inhalte werden deshalb, neben journalistischen Beiträgen, vor allem von Expert*innen aus Wissenschaften, Praxis und Zivilgesellschaft verfasst.

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