Aus dem 6. Teil der was wäre wenn-Reihe:
Was wäre, wenn Städte gut für das Klima wären?
Als Laurent Fabius am 12. Dezember 2015 abends um halb acht seinen kleinen, grünen Hammer auf den Tisch vor ihm schlägt, bricht im Konferenzzentrum von Paris der große Jubel aus. Die Delegierten springen von ihren Sitzen, schreien, fallen sich um den Hals. Sie applaudieren minutenlang, viele haben Tränen in den Augen. Mit dem Pariser Klimaabkommen, das Gipfelpräsident Fabius gerade für angenommen erklärt hat, verpflichten sich zum ersten Mal alle Staaten der Welt zum Klimaschutz.
Auf deutlich unter zwei Grad soll die Erderwärmung begrenzt bleiben, möglichst sogar auf nur 1,5 Grad – so das neue, strenge Klimaziel. Fabius spricht von einem “Wendepunkt in der Geschichte”, weltweit wird der Vertrag als historisch gefeiert, als Meilenstein, vergleichbar mit der ersten Mondlandung.
Heute ist von diesem Aufbruch nichts mehr zu spüren. Die Euphorie war nur ein kurzer, glücklicher Rausch. Die Zustimmung zum Paris-Abkommen hat die Staaten nicht in Klimaschützer verwandelt, kaum ein Land hat sich bis jetzt auf die neuen Klimaziele eingestellt. Bei der jüngsten Frühjahrskonferenz in Bonn, dem Vorbereitungstreffen zum Klimagipfel Ende des Jahres, konnten sich die Staaten nicht einmal darauf einigen, den 1,5‑Grad-Bericht des Weltklimarats anzuerkennen.
Dabei hatten sie den Bericht selbst in Auftrag gegeben, um sich vorrechnen zu lassen, was ihr Beschluss von Paris bedeutet. Nämlich: Nur mit dem 1,5‑Grad-Limit ist die Welt einigermaßen safe. Bei zwei Grad wird es brandgefährlich. Nötig sind schnelle und drastische Einschnitte bei den CO2-Emissionen.
Andere Akteure gefragt
Länder wie Saudi-Arabien, Russland und die USA, die mit fossilen Energieträgern viel Geld verdienen, wollen davon nichts wissen. Sie stellten sich quer und verhinderten so ein offizielles Bekenntnis der Staatengemeinschaft zu den Aussagen des Berichts. Da Einstimmigkeit erforderlich ist, kann jedes Land zur Vetomacht werden und Fortschritte blockieren. Das Ergebnis ist ein zäher und überaus frustrierender Prozess, der mit der Beschleunigung der Klimaveränderungen nicht im Mindesten Schritt hält. Eine Staatengemeinschaft, die sich gemeinsam gegen die Erderhitzung stemmt, scheint nur noch Utopie.
Also was?
Wenn die Hauptakteure der Klimapolitik sich gegenseitig blockieren und damit wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise ausbremsen, werden andere Akteure wichtiger. Kinder und Jugendliche zum Beispiel, die fürs Klima streiken. Protestbewegungen wie Extinction Rebellion, die zivilen Ungehorsam propagieren. NGOs, die Klimaklagen gegen Regierungen initiieren. Privatunternehmen, die Geld in grüne Technologien stecken. Fonds und Stiftungen, die ihre Investments aus fossilen Firmen abziehen.
Oder auch Städtenetzwerke. Was sie tun, landet selten in den Schlagzeilen. Die Bedeutung ihrer Arbeit ist aber nicht zu unterschätzen.
Zunächst einmal die Größenordnung. Mehr als 160 dieser Klima-Bündnisse gibt es weltweit. Teilweise sind sie schon vor dem ersten Erdgipfel 1992 in Rio entstanden und haben so viel praktisches Erfahrungswissen und ein Gespür für das Mögliche und Nötige gesammelt.
“Wir reden nicht nur, wir kämpfen”
Auffällig ist auch das Selbstbewusstsein, mit dem die Netzwerke auftreten. “Weder Bürgermeister noch Städte können sich den Luxus leisten, nur herumzusitzen und über Probleme zu sprechen”, sagt beispielsweise Michael Bloomberg, der frühere Bürgermeister von New York, mit einem deutlichen Seitenhieb gegen die Regierungschefs und ‑chefinnen der Nationalstaaten.
Bloomberg leitete in seiner Amtszeit das Netzwerk C40, in dem mittlerweile 94 der größten Städte der Welt organisiert sind. Dass sich das Netzwerk Cities Climate Leadership Group nennt, unterstreicht den Anspruch: Vorreiter sein, direkt und indirekt Druck machen auf all jene, die noch zögern. “Wir reden nicht nur, wir kämpfen”, sagt Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, die inzwischen das Netzwerk leitet.
Und was steht hinter dem Anspruch? Können Bürgermeister*innen mehr liefern als starke Worte?
Wäre C40 ein Land, könnte es sich mit den USA, China und der EU messen. Es versammelt über 650 Millionen Menschen und ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung. Auch beim CO2-Ausstoß ist das Bündnis ein Schwergewicht. Für 2,4 Milliarden Tonnen pro Jahr stehen die C40-Städte nach eigenen Angaben. Zum Vergleich: Deutschland emittiert jährlich rund 900 Millionen Tonnen.
Berlin gehört seit Langem zur C40-Gruppe. Anruf in der Berliner Senatskanzlei. Wofür ist das Netzwerk gut? Bringt so ein Zusammenschluss überhaupt etwas? Auf jeden Fall, ist die Antwort. Der Austausch der Städte untereinander sei wichtig, um voneinander zu lernen und alternative Lösungsansätze zu diskutieren. Und: “Wir wollen den Einfluss der Städte auf die nationale Politik erhöhen”, heißt es aus der Senatskanzlei. Sich selbst hat die Stadt das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein.
Der Wärmeinsel-Druck der Städte
Wer dem Netzwerk C40 auf Twitter folgt, erfährt praktisch täglich von neuen Selbstverpflichtungen. Da sind 25 Städte, die wie Berlin bis 2050 klimaneutral sein wollen. 19 versprechen, ab 2030 nur noch emissionsfrei zu bauen, darunter Kopenhagen, London, New York, Tokio. 28 Städte wollen ab 2025 nur noch Elektro-Busse anschaffen, etwa Rio de Janeiro oder Santiago de Chile. Andere verpflichten sich, ab 2030 nur noch emissionsfrei zu investieren. Wieder andere gehen gegen Plastik vor. Viele haben den Klimanotstand ausgerufen. Würden alle Städte weltweit den Empfehlungen des Netzwerks folgen und ähnliche Klima-Aktionspläne aufstellen, könnten 40 Prozent der Emissionseinsparungen geschafft werden, die für die Einhaltung der Paris-Ziele nötig sind, hat C40 ausrechnen lassen.
Dabei geht es keineswegs um Idealismus. Die Städte haben handfeste Interessen, denn auf ihnen lastet ein besonderer Problemdruck. Schon mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in städtischen Gebieten. Bis 2050 werden es nach UN-Prognosen 70 Prozent sein. Und bereits heute trifft der Klimawandel Städte stärker als das Land. Mehr als zwei Drittel der Megacities liegen in Küstenregionen. Da sich der Anstieg des Meeresspiegels bei zunehmender Erderwärmung beschleunigt, ist es für die Städte die beste Option, wenn das Paris-Abkommen eingehalten wird.
Dazu kommt der Wärmeinsel-Effekt. Durch die dichte Bebauung ist es in Städten mehrere Grad wärmer als im Umland. Im Sommer staut sich die Hitze zwischen den Häusern, auch nachts kühlt es kaum ab. Frischluftschneisen und Kälteflächen wie etwa das Tempelhofer Feld in Berlin sind nötig. Zudem Grünstreifen und Bäume entlang der Straßen, die Kühlung bringen und die Luftqualität verbessern. Wenn Städte eine lebenswerte Zukunft haben wollen, bedeutet das, können sie die Dinge nicht einfach laufen lassen.
Fördermittel für Klimaschonung
Eine Studie der ETH Zürich hat kürzlich ausgerechnet, was 520 Städten weltweit bevorsteht. Im Jahr 2050 wird Berlin demnach so heiß und trocken sein wie das australische Canberra, London wie Barcelona, Madrid wie Marrakesch. In Megacities wie Peking, Jakarta, Seoul – alle bei C40 organisiert – werden in 30 Jahren klimatische Bedingungen herrschen, die es derzeit in keiner großen Stadt auf dem Planeten gibt. Das gilt sogar dann, wenn die Pariser Klimaziele eingehalten und die Emissionen deutlich reduziert werden.
Gigantische Finanzmittel werden nötig sein, damit die Städte ihre Infrastruktur so umbauen können, dass sie sowohl klimaneutral als auch klimaresilient werden. Viele Städte dürfte das überfordern. Anruf beim Städtenetzwerk ICLEI – Local Governments for Sustainability, das 1000 Städte, Gemeinden und Landkreise in 70 Ländern vertritt. Wie stehen die Chancen? Können die Städte das schaffen? “Der Mangel an finanziellen Ressourcen gehört auf jeden Fall zu den größten Hemmnissen”, sagt ICLEI-Sprecher Ariel Dekovic. “Städte in Europa und Nordamerika haben da natürlich einen Vorsprung. Anders als Städte des globalen Südens haben sie nicht mit so vielen grundsätzlichen Problemen zu kämpfen, um bei ihren Zielen voranzukommen.”
Das Bündnis ICLEI existiert schon seit 1990. Es dient als Interessenvertretung, bietet aber auch Beratung und Unterstützung an. “Allein im letzten Jahr haben wir mit mehr als 1900 Städten weltweit zusammengearbeitet”, sagt Dekovic. “Immer geht es um die Frage, wo die Städte am besten ansetzen können. Manchmal ist es die Schulung der Mitarbeiter, manchmal werden Informationen benötigt, wie man Fördermittel für bestimmte klimaschonende Maßnahmen einwerben kann.“
Sanierungen, LED, Tempo 30
Doch reicht das? Haben Städte nicht doch zu wenig Kontrolle über ihren CO2-Fußabdruck, um ein so großes Ziel wie Klimaneutralität zu schaffen? “Das ist höchstens teilweise richtig”, sagt Dekovic. “Wir wehren uns gegen das Narrativ, dass Städte kaum etwas tun können. Wir arbeiten daran, dass sich das ändert.” Ähnlich sieht das Björn Weber, Experte für kommunalen Klimaschutz beim Deutschen Institut für Urbanistik. “Der gesetzliche Rahmen ist den Kommunen natürlich vorgegeben”, so Weber. “Aber innerhalb dieses Rahmens ist vieles möglich.”
Als Beispiele nennt Weber die energetische Sanierung von stadteigenen Gebäuden, zum Beispiel Turnhallen oder Schwimmbädern. Außerdem könne man die Abwärme von Gewerbebetrieben nutzen und für eigene Liegenschaften Einsparkonzepte entwickeln.
Und dann wäre da natürlich noch der große Bereich Verkehr, also: Autospuren in Fahrradspuren umwandeln, Ladesäulen für E‑Autos aufstellen, Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsstraßen einführen, Straßenbeleuchtung auf LED umstellen. Mit solchen Maßnahmen können Städte positive Anreize setzen und Bedingungen schaffen, die klimafreundliches Verhalten fördern. “Das hört sich nach klein-klein an”, sagt Weber, “ist es aber nicht”.
Städte treiben Länder
“Die deutschen Kommunen sind aber vergleichsweise gut aufgestellt”, sagt Weber, was daran liege, dass sich Deutschland schon früh Klimaziele gesetzt habe. “Das hat etwas ins Rollen gebracht.” Weil die Städte in vielen Bereichen für die Umsetzung zuständig sind, schrieben sie eigene Klimaschutzpläne und stellten dafür Klimaschutzmanager ein. Inzwischen fordern sie auch – manche mehr, andere weniger – lautstark eine Politik, die einen klaren Rahmen vorgibt und den eingeschlagenen Weg zu mehr Klimafreundlichkeit zumindest nicht konterkariert. Die Dynamik hat sich umgedreht. Während Deutschland seine nationalen Klimaziele verfehlt, sind es nun die Städte und Gemeinden, die Druck machen. Sie werden zum Antreiber, zum Motor.
Auch zählbare Erfolge können die Städtenetzwerke mittlerweile vorweisen. Im vergangenen Jahr gaben 27 Städte des Netzwerks C40 bekannt, dass sie ihre Emissionen um mehr als zehn Prozent unter ihre früheren Höchstwerte drücken konnten. Darunter Basel, Madrid, Rom, San Francisco. Zehn Prozent, das klingt nach nicht sehr viel. Und doch ist es durchaus beachtlich, wenn man bedenkt, dass der globale Treibhausgasausstoß noch immer weiter steigt, auch vier Jahre nachdem die Staatengemeinschaft im Paris-Abkommen versprochen hat, den Aufwärtstrend zu stoppen.
Das Grundproblem besteht darin, dass beim Paris-Abkommen alles auf Freiwilligkeit beruht. Jedes Land hat selber festgelegt, wie viel es zum globalen Klimaschutz beitragen kann und will. Diese Selbstverpflichtungen reichen jedoch nicht einmal dafür aus, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, also die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, geschweige denn auf 1,5 Grad.
Die Crux mit der Freiwilligkeit
Doch nur auf der Basis dieser Freiwilligkeit ist das Abkommen überhaupt zustande gekommen. Als sechs Jahre zuvor beim Klimagipfel in Kopenhagen 2009 ein Weltklimavertrag mit festen Reduktionsvorgaben beschlossen werden sollte, scheiterte dies auf ganzer Linie. Zu wenig Länder waren dazu bereit, sich irgendetwas vorschreiben zu lassen.
Damit sich bei dieser Unverbindlichkeit dennoch klimapolitisch etwas tut, kennt das Paris-Abkommen nur einen Hebel. Er ist psychologischer Natur und alles andere als robust. Man setzt darauf, dass es Vorreiter und Vorbilder gibt, die beim Klimaschutz besonders aktiv werden und die anderen damit quasi mitziehen.
Dass so viel davon abhängt, ob es politischen Druck gibt, bietet allerdings auch einen Vorteil: Der Druck kann von überall her kommen. Von Städtenetzwerken, von Klimaschützer*innen, Aktivisten, Unternehmen. Von allen.
Autor*in
Verena Kern arbeitet als freie Journalistin in Berlin, unter anderem für die Frankfurter Rundschau, die Deutsche Welle sowie Fachmagazine, und lektoriert Fachbücher. Sie ist stellvertretende Chefredakteurin der Plattform klimareporter°.
Was wäre, wenn…
… Städte gut für das Klima wären?
Im 6. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Städte und Klima. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alternativen für die Gesellschaft sichtbar zu machen und potenzielle Lösungen ins Zentrum zu rücken.
Jedes Thema wird mit einer was wäre wenn-Frage eröffnet und anschließend in Essays, Interviews und in einem begleitenden Podcast diskutiert. Zum Wesenskern unseres Magazins gehört die Pluralität der Stimmen und Perspektiven. Die Inhalte werden deshalb, neben journalistischen Beiträgen, vor allem von Expert*innen aus Wissenschaften, Praxis und Zivilgesellschaft verfasst.
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