Ernährung der kurzen Wege

Die glo­ba­li­sier­te Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on frisst unser Kli­ma auf. Doch lie­ßen sich gan­ze Metro­po­len aus dem Umland ernäh­ren? Ein Inter­view mit dem Agrar­for­scher Ingo Zasada, geführt von Lukas Hermsmeier und Raven Musialik.
Lebensmittel erzeugen nachhaltig regional
Aus dem 6. Teil der was wäre wenn-Reihe:

Was wäre, wenn Städte gut für das Klima wären?

Herr Zasa­da, im ver­gan­ge­nen Jahr erschien eine Stu­die, an der Sie mit­ge­ar­bei­tet haben, in der das Poten­zi­al von Metro­po­len unter­sucht wur­de, sich regio­nal mit Lebens­mit­teln zu ver­sor­gen. Mit wel­chem Inter­es­se haben Sie die­se Fra­ge gestellt?

Ingo Zasa­da: Es steht immer wie­der hin­sicht­lich Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz und Kli­mare­le­vanz die Fra­ge im Raum, inwie­fern kurz­ket­ti­ge oder regio­na­le Ver­sor­gung bes­ser oder schlech­ter ist als das aktu­el­le Modell eines glo­ba­len Han­dels, wo der Apfel aus Neu­see­land kommt. Wenn wir nun zu der Erkennt­nis kom­men, dass regio­na­le Pro­duk­ti­on im Gro­ßen und Gan­zen eine posi­ti­ve Wir­kung hat, schließt sich ja die Fra­ge an, inwie­fern Metro­pol­re­gio­nen über­haupt in der Lage wären, sich selbst zu ernäh­ren. Das war der Start­punkt für die Stu­die. Das haben wir für Ber­lin, Mai­land, Rot­ter­dam und Lon­don durch­ge­rech­net, um zu sehen, wo die Unter­schie­de zwi­schen den euro­päi­schen Regio­nen bestehen, abhän­gig davon, wie vie­le Men­schen dort leben, was die bio-geo­gra­phi­schen Bedin­gun­gen und wie die Erträ­ge dort sind und was theo­re­tisch über­haupt nutz­bar wäre. 

Wie haben Sie die­se sehr unter­schied­li­chen Bedin­gun­gen und Eigen­schaf­ten der Metro­pol­re­gio­nen ver­gleich­bar gemacht?

Wir haben vor allem mit der Idee des vir­tu­el­len Flä­chen­fuß­ab­drucks gear­bei­tet, der dar­auf basiert, dass man die Kon­sum­sei­te im Zusam­men­hang mit der Pro­duk­ti­on und der Wert­schöp­fungs­ket­te betrach­tet. Wir haben jeweils die durch­schnitt­li­chen Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten genom­men und in bestimm­te Pro­dukt­grup­pen zusam­men­ge­fasst, also zum Bei­spiel: Was kon­su­miert eine Per­son in Deutsch­land im Durch­schnitt? Und das haben wir mul­ti­pli­ziert mit der Bevöl­ke­rung in der Regi­on und so wuss­ten wir erst ein­mal, was man wo über­haupt ins­ge­samt an Lebens­mit­teln pro Jahr braucht. 

Die ande­re Sei­te ist die Pro­duk­ti­on: Was kön­nen wir grund­sätz­lich pro­du­zie­ren und was sind die Erträ­ge? Bran­den­burg hat etwa noto­risch schlech­te Ertrags­ra­ten. Die unter­schei­den sich aller­dings inner­halb des Lan­des sehr. Im Oder­bruch kann man sehr gut pro­du­zie­ren, auf dem Bar­nim hin­ge­gen sind sehr san­di­ge Böden und die Erträ­ge ver­gleichs­wei­se gering. 

Jede Regi­on hat ihr eige­nes Potenzial

Die Bedar­fe und die Erträ­ge sind also sehr spe­zi­fisch auf die Regio­nen gerechnet.

Genau. Zudem haben wir auch auf die Ver­lus­te geschaut, zu denen es Zah­len von der FAO, der Agrar­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on der UN, gibt. All das ist Teil die­ses Modells. Der Bedarf wird also in ein Ver­hält­nis mit den Pro­duk­ti­ons­mög­lich­kei­ten der Regi­on gebracht und dann wis­sen wir, wie viel Flä­che benö­tigt wür­de. Das ist dann der vir­tu­el­le Fuß­ab­druck die­ser Metropolregion.

Was wir dage­gen nicht ange­schaut haben ist: Wel­che Antei­le von dem, was in der Regi­on pro­du­ziert wird, lan­den tat­säch­lich in der Stadt? Da ist auch die empi­ri­sche Basis sehr schlecht, da gibt es nur Schätz­wer­te, die lie­gen für Ber­lin und Bran­den­burg im Bio­be­reich bei 30 Pro­zent, ins­ge­samt eher bei zehn Pro­zent. Das zeigt grund­sätz­lich eine Richtung.

Sie haben in der Stu­die fest­ge­stellt, dass Ber­lin das Poten­zi­al hät­te, sich aus der Regi­on selbst zu ver­sor­gen. In ande­ren Städ­ten, etwa in Lon­don, sieht das schwie­ri­ger aus. Wäre dem­nach das Ergeb­nis der Stu­die, dass wir grund­sätz­lich die Mög­lich­keit sehen, gro­ße Städ­te regio­nal zu ver­sor­gen, oder dass wir es in Ber­lin machen könn­ten, in Lon­don aber eben nicht?

Eher das zwei­te. Man muss es wirk­lich sehr dif­fe­ren­ziert betrach­ten. Und man muss auch dazu­sa­gen, dass Ber­lin-Bran­den­burg ein Stück weit eine Son­der­rol­le hat. Es ist ein Flä­chen­land, eher dünn besie­delt, rela­tiv weni­ge kon­kur­rie­ren­de Regio­nen in der Nähe. Rot­ter­dam ist da ein Gegen­bei­spiel: Süd­hol­land, unglaub­lich dicht besie­delt, mit Ams­ter­dam, Den Haag, Paris und Brüs­sel wei­te­re gro­ße Städ­te in der Nähe, theo­re­tisch wür­de man da mit die­sen Regio­nen um die Anbau­flä­chen kon­kur­rie­ren. In Lon­don hin­ge­gen gibt es ein­fach eine sehr gro­ße Bevöl­ke­rung. Was man auch nicht ver­ges­sen darf, und da war das Bei­spiel Mai­land inter­es­sant: Es gibt unter­schied­li­che geo­gra­phi­sche Situa­tio­nen, ich kann ein­fach im Hoch­ge­bir­ge nicht inten­siv anbau­en. Das kann man dann für ver­schie­de­ne Städ­te durch­spie­len. Es gibt eben sehr unter­schied­li­che Poten­zia­le, um die Ver­sor­gung über­haupt theo­re­tisch regio­nal zu gewährleisten.

“Es muss eben auch anders gekocht werden”

Grund­sätz­lich ist das Poten­zi­al also im Fal­le von Ber­lin vor­han­den. Aber wir sehen ja auch, dass der Bedarf nach Bio­le­bens­mit­teln wächst. Wür­de sich die­se Ver­schie­bung eben­falls aus der Regi­on bewäl­ti­gen lassen? 

Nach unse­ren Berech­nun­gen funk­tio­niert das für eine Regi­on wie Ber­lin-Bran­den­burg unter bestimm­ten Bedin­gun­gen. Grund­sätz­lich brau­chen wir für Bio­land­bau mehr Flä­che. Das ist ein­fach so. Aber der Clou – und da sehe ich auch die Stär­ke, die Land­wirt­schaft und den Kon­sum in einem Sys­tem zusam­men­zu­den­ken – liegt dar­in, die Ansatz­punk­te zu iden­ti­fi­zie­ren. Ich kann hier zwar zwi­schen kon­ven­tio­nel­lem Anbau und Bio unter­schei­den, aber ent­schei­den­der ist: Werft weni­ger Lebens­mit­tel weg! Und die Unter­schei­dung in Pro­dukt­grup­pen zeigt auch sehr deut­lich, dass mehr als die Hälf­te der Flä­che, die wir ver­brau­chen, für tie­ri­sche Pro­duk­ti­on ver­wen­det wird. 

Inter­es­sant ist dabei die unter­schied­li­che Ernäh­rung in den ver­schie­de­nen Regio­nen, die wir unter­sucht haben. Man denkt ja, man ist in West­eu­ro­pa, das ist hier alles das Glei­che. Dem ist tat­säch­lich nicht so. In Groß­bri­tan­ni­en wird zum Bei­spiel deut­lich weni­ger Schwei­ne­fleisch geges­sen als in Deutsch­land. Da zeigt sich, inwie­fern ein Gericht auch ohne Fleisch ein Gericht sein kann. Und es gibt Regio­nen, da wür­de die Leu­te das nicht mit ja beant­wor­ten. Aber wenn wir da hin­kä­men, dann hät­ten wir schon eini­ges gewon­nen – ohne dass alle Vege­ta­ri­er oder Vega­ner wür­den, was natür­lich ein idea­ler Fall wäre. 

Wich­tig ist also die Fra­ge: Wie kom­men wir davon run­ter? Ob man das als Ver­zicht bezeich­net, sei mal dahin­ge­stellt. Aber das stellt eben einen rela­tiv gro­ßen Hebel dar. Zudem wer­fen wir in Deutsch­land die Hälf­te unse­rer Lebens­mit­tel weg. Wenn wir das ein­spa­ren, haben wir einen posi­ti­ven Kli­ma­ef­fekt von 50 Pro­zent. Das wäre schon ein­mal ein ordent­li­cher Bei­trag, den das Ernäh­rungs­sys­tem leis­ten könn­te. Und ein regio­na­les Ernäh­rungs­sys­tem wird eher in der Lage sein, Ver­lus­te zu reduzieren. 

Wie kom­men die­se Ver­lus­te zustan­de? Müss­te es nicht jetzt schon Inter­es­se der Pro­du­zen­tin­nen und der Bau­ern sein, die­se gering zu halten?

Viel hängt von der Stan­dar­di­sie­rung ab. Kar­tof­feln oder Möh­ren, die natür­li­che Ver­wach­sun­gen haben, wer­den aus­sor­tiert, sind sofort zwei­te oder drit­te Klas­se und dann nicht mehr ver­kauf­bar. Da ist das Wert­schöp­fungs­po­ten­zi­al plötz­lich so gering für den Land­wirt, dass die Sachen teil­wei­se ein­fach auf dem Acker blei­ben und unter­ge­pflügt wer­den. Dage­gen gibt es Initia­ti­ven wie die Culi­na­ry Mis­fits, die expli­zit Sachen an die Konsument*innen brin­gen, die sonst ver­lo­ren gin­gen, oder die Tafeln, oder Sur­plus, die auch im Ein­zel­han­del ver­su­chen, den Ver­lust von Lebens­mit­teln zu reduzieren.

Ein gro­ßer Teil der Ernäh­rung fin­det ja auch über Gemein­schafts­ver­pfle­gung statt, in Kan­ti­nen, Mensen, etc. Weil Kos­ten redu­ziert wer­den müs­sen, wird dort gar nicht wirk­lich gekocht. Din­ge wer­den nur zusam­men­ge­tan, sehr stan­dar­di­sier­te Gerich­te, die dann auch nicht sehr hoch­wer­tig sind und ver­lo­ren gehen weil sie halt nicht auf­ge­ges­sen wer­den, mit­un­ter weil sie ein­fach nicht schme­cken. Es muss eben auch anders gekocht werden.

Was wür­de die Regio­na­li­sie­rung der Land­wirt­schaft denn für die Prei­se bedeu­ten? Ver­bin­det sich mit der Ver­sor­gungs­fra­ge auch eine sozia­le Fra­ge, vor allem wenn wir von einer bio­lo­gi­schen Land­wirt­schaft reden?

Ja, im Moment ist das tat­säch­lich so, vor allem beim Öko­land­bau. Ich kann gut ver­ste­hen, dass Leu­te mit nied­ri­ge­ren Ein­kom­men auf den Preis ach­ten und eher nicht Bio­pro­duk­te kau­fen. Wenn wir es aber volks­wirt­schaft­lich betrach­ten, bezah­len wir den Preis für Bio sowie­so. Deutsch­land wird womög­lich pro Tag bis zu 850.000 Euro Straf­zah­lung an die EU zah­len müs­sen, weil die Nitratricht­li­nie nicht ein­ge­hal­ten wird. Das ist auf die hoch­in­ten­si­ve Land­wirt­schaft zurück­zu­füh­ren. Und dafür zah­len wir ja auch alle. Wir könn­ten die­ses Geld natür­lich auch nut­zen, um eine bio-regio­na­le Ver­sor­gung zu unterstützen. 

Ein wei­te­rer Punkt, was die sozia­le Kom­po­nen­te angeht, ist die Gemein­schafts­ver­pfle­gung und die öffent­li­che Beschaf­fung. Die Kom­mu­nen haben es selbst ein Stück weit in der Hand. In Ber­lin etwa könn­te man das kos­ten­freie Schu­les­sen auf bio-regio­nal umstel­len. Das müs­sen wir dann gesell­schaft­lich bezah­len, aber das muss dann nicht von der ein­zel­nen Per­son getra­gen wer­den. Auch so kann ich Anrei­ze schaf­fen, regio­na­le Pro­duk­ti­on aus­zu­wei­ten und das auf eine Wei­se, die eher sozi­al gerecht ist. 

Denn was ja eine regio­na­le Ver­sor­gung auch ver­hält­nis­mä­ßig teu­er macht, ist das aktu­el­le glo­ba­li­sier­te Ernäh­rungs­sys­tem, das mit gro­ßen Ska­len arbei­tet und glo­bal ver­netzt ist, und dar­auf­hin opti­miert und ratio­na­li­siert ist. Dane­ben ein ande­res Sys­tem in der Nische auf­zu­bau­en, ist eben teu­er. In Ber­lin und Bran­den­burg feh­len der­zeit bestimm­te Infra­struk­tu­ren, von Kar­tof­fel­schäl­ma­schi­nen bis Mol­ke­rei­en, die groß genug sind, um gro­ße Men­gen an regio­na­len Pro­duk­ten zu ver­ar­bei­ten und damit auch güns­ti­ger zu pro­du­zie­ren. Die Fra­ge ist also, ob wir die­ses Sys­tem stär­ker opti­mie­ren können. 

Also ist regio­na­le und bio­lo­gi­sche Ernäh­rung nicht zwangs­läu­fig teurer. 

Es müss­te nicht zwangs­läu­fig teu­rer sein. Das müss­te man tat­säch­lich mal sehen. Im Moment ist es im Ver­gleich teu­er, weil es eine Nische neben einem eta­blier­ten Sys­tem ist. Ent­schei­dend wäre, dass sich hier die nöti­gen Struk­tu­ren bilden. 

“Heu­te wis­sen vie­le Leu­te nicht mehr, wo Lebens­mit­tel herkommen”

Um noch ein­mal unse­re Fra­ge nach der nach­hal­ti­gen Stadt ein­zu­fan­gen. Erklä­ren Sie uns doch mal, war­um regio­na­le Ver­sor­gung eigent­lich kli­ma­freund­lich ist. Kann man bezif­fern, wel­chen Ein­fluss Ernäh­rung für das Kli­ma hat?

Ich fan­ge mit dem zwei­ten Punkt an. Das Umwelt­bun­des­amt hat mal aus­ge­rech­net, dass in Deutsch­land die Land­wirt­schaft für etwa zehn bis zwan­zig Pro­zent der kom­plet­ten Kli­ma­gas­emis­sio­nen ver­ant­wort­lich ist. Ich mei­ne, da ist noch nicht ein­mal die kom­plet­te Ver­ar­bei­tungs­ket­te mit­ge­rech­net. Glo­bal geht man davon aus, dass die­ser Wert eher bei 30 – 40 Pro­zent liegt. Wir reden also über einen rele­van­ten Anteil an den Kli­ma­gas­emis­si­on, ganz expli­zit auch von Methan und von Lach­gas. Lach­gas ent­steht aus der Dün­gung, und da hängt es ganz eng auch mit der Alter­na­ti­ve von Bio- und von kon­ven­tio­nel­lem Land­bau zusam­men. Methan kommt vor allem aus der Tier­hal­tung. Und vie­le CO2-Emis­sio­nen ent­ste­hen bei der land­wirt­schaft­li­chen Arbeit, beim Trans­port, aber auch bei Dün­ge­mit­teln. Das ist also schon ein­mal ein wich­ti­ges Thema. 

Jetzt ist natür­lich die Fra­ge, die wir uns ja bei der Stu­die auch gestellt haben: Was ist eigent­lich die Kli­mare­le­vanz einer regio­na­len Ver­sor­gung? Was natür­lich auf der Hand liegt ist, dass die Trans­port­we­ge kür­zer wür­den. Wobei man jetzt dage­gen­hal­ten könn­te: Das ist das klei­ne­re Sys­tem neben dem eta­blier­ten Sys­tem. Statt der wei­ten Wege gibt es hier vie­le klei­ne Wege, die wenig effi­zi­ent sind. Das wird sicher­lich einen gan­zen Teil der gewon­ne­nen Ein­spa­rung wie­der zunich­tema­chen. Hier müs­sen wir in der Zukunft schau­en, dass man die­ses regio­na­le Sys­tem effi­zi­en­ter gestal­tet. Dabei geht es auch um Inno­va­tio­nen. Wie kann man schlau regio­na­li­sie­ren? Wie kann man die vie­len Wege zwi­schen den klei­nen Akteu­ren, von Klein­land­wir­tin­nen und Klein­ver­ar­bei­tern bis hin zu den Kon­su­men­tin­nen opti­mie­ren. Denn die sind nicht optimiert. 

Es reicht also nicht, zu sagen, man lässt die Erd­bee­ren jetzt nicht mehr aus Chi­na ein­flie­gen, man muss auch vor Ort umstel­len um Emis­sio­nen einzusparen.

Genau. Es gibt ja die­se kon­tro­ver­se Stu­die, in der der Apfel aus Neu­see­land mit dem Apfel aus der Regi­on ver­gli­chen wird. Der regio­na­le Apfel muss den Win­ter über gekühlt wer­den, damit er im Früh­jahr ver­zehrt wer­den kann, was extrem viel Ener­gie kos­tet und Emis­sio­nen ver­ur­sacht. Der Apfel aus Neu­see­land kommt auf einem sehr gro­ßen Schiff mit sehr vie­len Äpfeln und wei­te­ren Waren, was also sehr effi­zi­ent orga­ni­siert ist. Sicher ist also, dass das regio­na­le Sys­tem bes­ser orga­ni­siert wer­den muss. Dann haben wir auf jeden Fall die Chan­ce, einen Bei­trag zur Ein­spa­rung von CO2 und ande­ren Kli­ma­ga­sen zu leisten. 

Dann gibt ja es auch noch die Land­wirt­schaft in der Stadt, die auch einen Bei­trag leis­ten könn­te. Aber haben wir dafür über­haupt genug Platz? 

Klar ist, dass man stark zwi­schen einer urba­nen und einer peri-urba­nen Land­wirt­schaft unter­schei­den muss. Das sind zunächst ein­mal ganz ande­re Struk­tu­ren. In der Stadt reden wir ja eigent­lich über urba­nen Gar­ten­bau, vom Schre­ber­gar­ten bis zur Bal­kon­pflan­ze. Und ich wür­de immer ein­schrän­kend sagen: Die Quan­ti­tät, die wir in der Stadt pro­du­zie­ren kön­nen, ist begrenzt und wird begrenzt blei­ben. In einer Stadt wie Ber­lin – wir reden hier ja nicht von urba­ner Land­wirt­schaft in Ent­wick­lungs­län­dern, wo das noch ein­mal eine ande­re Geschich­te ist, wo Land­wirt­schaft und Stadt viel stär­ker ver­bun­den sind –, haben wir eine ganz mas­si­ve Flä­chen­kon­kur­renz. Und das ist noch nicht ein­mal nur bebau­te Flä­che ver­sus urba­ne Land­wirt­schaft, son­dern da geht auch um Parks und ande­re grü­ne Freiflächen.

Wo daher viel­leicht der grö­ße­re Wert von urba­ner Land­wirt­schaft liegt: Damit bekom­me ich die städ­ti­sche Gesell­schaft wie­der viel näher an so eine regio­na­le Ernäh­rungs­pro­duk­ti­on her­an­ge­führt. Die Leu­te ver­ste­hen, was das bedeu­tet, etwas her­zu­stel­len, es kann Bewusst­sein dafür stei­gern, weni­ger Din­ge weg­zu­wer­fen. Und das spielt auch eine Rol­le bei der Anpas­sung an einen Kli­ma­wan­del. Man spricht dann von der Resi­li­enz von Städ­ten, etwa in Kata­stro­phen­si­tua­tio­nen. Heu­te wis­sen vie­le Leu­te nicht mehr, wo Lebens­mit­tel her­kom­men und sind gar nicht mehr in der Lage, sie zu pro­du­zie­ren. Als Ber­lin 1946 von der rus­si­schen Armee blo­ckiert wur­de, hat man den Tier­gar­ten abge­holzt und dort Lebens­mit­tel pro­du­ziert. Es gibt vie­le Kol­le­gen, die sagen wür­den, das wäre heu­te gar nicht mehr mög­lich, wenn es zu einer ähn­li­chen Kri­sen­si­tua­ti­on kom­men soll­te, wenn etwa der glo­ba­le Han­del ins Sto­cken geriete.

Ein Airb­nb für regio­na­le Agrarprodukte

In der Stu­die ist gezeigt wor­den, dass Städ­te ganz unter­schied­li­che Poten­zia­le haben. Las­sen sich trotz­dem eini­ge ganz all­ge­mei­ne Rück­schlüs­se zie­hen, wie eine kli­ma­freund­li­che Stadt aus­se­hen soll­te, damit sie das Poten­zi­al für eine regio­na­le Ernäh­rung hätte? 

Da gibt es natür­lich Mög­lich­kei­ten, die aber zum Teil auch schon aus­ge­nutzt wer­den. Zum Bei­spiel. gesetz­li­che Richt­li­ni­en für Schre­ber­gär­ten, dass dort zu einem bestimm­ten Anteil Lebens­mit­tel pro­du­ziert wer­den müs­sen. Das kann man natür­lich auch in ande­re Sied­lungs­struk­tu­ren hin­ein­tra­gen. Wich­ti­ger wäre aber, dass man die Stadt-Land-Ver­bin­dun­gen stärkt, hier wirt­schaft­li­che Anrei­ze schafft, damit sich Ver­sor­gungs­in­fra­struk­tu­ren bil­den. Stadt­pla­ne­risch muss man dann dafür sor­gen, dass sol­che Din­ge in der Stadt Platz haben. Es gibt ja gar kei­ne gro­ßen Schlacht­hö­fe oder gro­ße Ver­ar­bei­tungs­ka­pa­zi­tä­ten in der Stadt und muss man schau­en, wie man das z.B. über eine Bun­des­emis­si­ons­schutz­ver­ord­nung ermög­licht und wie das mit der Akzep­tanz der Leu­te d’ac­cord geht. 

Was grund­sätz­lich noch in der Land­nut­zungs­po­li­tik wich­tig ist, ist der Fakt, dass Sied­lungs­wachs­tum fast zu hun­dert Pro­zent auf Agrar­flä­chen geht. Wäl­der und ande­re öko­lo­gisch wich­ti­ge Feucht­ge­bie­te sind gesetz­lich geschützt. Stadt­er­wei­te­run­gen gehen damit qua­si immer auf Kos­ten von Agrar­flä­chen, die wir aber bräuch­ten, um uns regio­nal zu ernäh­ren. Und zumeist ent­ste­hen Städ­te vor allem in Regio­nen, die sehr frucht­bar sind und gera­de die­se Flä­chen wer­den dann ver­sie­gelt. Auch da soll­te man über­le­gen, ob man das nicht in stadt­pla­ne­ri­sche Über­le­gun­gen ein­be­zieht. Man könn­te auch mehr an Gewächs­häu­ser den­ken. Allein wegen ihrer Fähig­kei­ten Quan­ti­tät zu pro­du­zie­ren, könn­te man schau­en, inwie­fern man das aus­bau­en kann. 

Gäbe es wei­te­re Inno­va­tio­nen in der Pro­duk­ti­on, die uns auf dem Weg zu einer Regio­na­li­sie­rung hel­fen könnten?

Auf allen Ebe­nen brau­chen wir mehr Inno­va­tio­nen. Ich bin kein gro­ßer Freund von den Vor­stel­lun­gen, die eini­ge Kol­le­gen haben, dass wie­der mehr Leu­te in der Land­wirt­schaft arbei­ten sol­len und damit auch klei­ne­re Struk­tu­ren wie­der her­ge­stellt wer­den. Ich hal­te das für kom­plett illu­so­risch. Das wür­de alles nur viel teu­rer machen. 

Dazu kommt: Kon­ven­tio­nell und Bio­land­bau strikt zu tren­nen, geht nicht weit genug. Wir müs­sen eher schau­en, wo Inno­va­tio­nen mög­lich sind. Auch im kon­ven­tio­nel­len Land­bau. Es gibt Ansät­ze von nach­hal­ti­ger Inten­si­vie­rung, ein Maß­nah­men­be­reich, der im Moment von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on sehr stark unter­stützt wird. Inwie­fern kön­nen wir im Rah­men des kon­ven­tio­nel­len Anbaus Erträ­ge stei­gern und die Umwelt­kos­ten ver­rin­gern? Man muss da nicht in Schwarz und Weiß tren­nen, son­dern es gibt auch Ide­en einer öko­lo­gi­sier­ten kon­ven­tio­nel­len Pro­duk­ti­on. Dage­gen kom­plett auf heu­ti­ge Öko­land­bau­me­tho­den umzu­stel­len, macht es eher schwie­ri­ger, eine regio­na­le Ver­sor­gung zu gewährleisten. 

Was wir brau­chen, sind regio­na­le Sys­te­me, die auch effi­zi­ent sind, die auch moder­ne Tech­no­lo­gie nut­zen. Wir kön­nen bei­spiels­wei­se an die Platt­form­öko­no­mie den­ken: War­um gibt es nicht ein Airb­nb für regio­na­le Pro­duk­ti­on? Wo sich Pro­du­zen­ten, Ver­ar­bei­ter und Kon­su­men­ten stär­ker ver­net­zen könn­ten. Wir brau­chen eine wirt­schaft­lich trag­fä­hi­ge Regio­na­li­sie­rung, nur so kom­me ich in die Richtung. 

Wie wür­de das Airb­nb für Produzent*innen und Konsument*innen aussehen? 

Wir hat­ten das The­ma mal im Rah­men einer Regio­wo­che. Da haben etwa 500 Schu­len dran teil­ge­nom­men, die regio­nal ver­sorgt wur­den. Und die haben fest­ge­stellt, dass es ein­fach sehr weni­ge Pro­du­zen­ten gibt, die mal eben die Quan­ti­tä­ten her­stel­len kön­nen. Du hast Land­wir­te, die haben zehn Ton­nen Kar­tof­feln. Aber was gebraucht wird sind viel­leicht 100 Ton­nen. Das kann ein ein­zel­ner Land­wirt nie­mals leis­ten. Die Fra­ge ist aber, ob wir es nicht schaf­fen wür­den, wenn wir Pro­duk­ti­ons- und Ver­ar­bei­tungs­ka­pa­zi­tä­ten zusam­men­brin­gen könn­ten. Wenn sich meh­re­re Land­wir­te, mei­net­we­gen eben digi­tal über eine Platt­form ver­net­zen, kann der eine viel­leicht zehn Ton­ne, der ande­re 20 ein­brin­gen. Das wäre nied­rig­schwel­lig, und dafür bräuch­te man kein Management.

Was gäbe auf poli­ti­scher Ebe­ne für Ansatz­punk­te, damit wir in eine regio­na­le Stadt­ver­sor­gung kommen? 

Das eine ist die öffent­li­che Beschaf­fung, eines der wich­tigs­ten kom­mu­na­len Instru­men­te. In Ber­lin gab es lan­ge Zeit Lip­pen­be­kennt­nis­se, zum Bei­spiel die Uni­mensen auf min­des­tens 30 Pro­zent bio-regio­nal umzu­stel­len ist im Agen­da21-Pro­zess schon ein­mal so for­mu­liert wor­den. Nun gibt es die Idee, das in der Schul­er­näh­rung stär­ker aus­zu­bau­en. Ein Bei­spiel ist das House of Food in Kopen­ha­gen. Kopen­ha­gen ist über­haupt nicht nur wegen der Fahr­rad­in­fra­struk­tur, son­dern auch, weil die es geschafft haben, bei der Gemein­schafts­ver­pfle­gung auf bio-regio­nal umzu­stel­len. Und das könn­te Ber­lin eben auch. Das ist ein wich­ti­ges poli­ti­sches Instrument. 

Ansons­ten bewe­gen wir uns schnell in den Kom­pe­ten­zen der Agrar­po­li­tik und dann sind wir auf der EU, bezie­hungs­wei­se Bun­des­län­der­ebe­ne, wo bio-regio­na­le Land­wirt­schaft expli­zit geför­dert wer­den kann. Und da gibt es auch im Rah­men der länd­li­chen Ent­wick­lung Maß­nah­men, die regio­na­le Anbau­struk­tu­ren wie pro­du­cer groups und regio­na­le Wert­schöp­fungs­ket­ten unter­stüt­zen. Das kann und muss aus­ge­baut werden. 

Welt­han­del gegen Regionalisierung

Wie pro­gres­siv sind denn die EU und auch Deutsch­land, was die regio­na­le Ver­sor­gung betrifft. Ste­hen die da eher auf der Bremse? 

Ich glau­be, man muss das dif­fe­ren­ziert sehen. Die EU ist der poli­ti­sche Hebel schlecht­hin, was Land­wirt­schaft und Ernäh­rung angeht, weil da wer­den die Sub­ven­tio­nen aus­ge­zahlt und auch die Regu­la­tio­nen geschaf­fen. Die Was­ser­rah­men­richt­li­nie, die Nitratricht­li­nie, auch Defi­ni­tio­nen, was Bio­land­bau ist — grund­sätz­lich ist das der Hebel. Die EU-Kom­mis­si­on wäre hier ger­ne deut­lich pro­gres­si­ver, wird aber sehr stark durch ein­zel­ne Mit­glieds­staa­ten, ins­be­son­de­re Deutsch­land, gebremst. Das muss man so sagen. Da sind vie­le ande­re Mit­glieds­staa­ten — skan­di­na­vi­sche Län­der, ost­eu­ro­päi­sche Län­der, aber auch in Süd­eu­ro­pa, Ita­li­en -, deut­lich weiter. 

Es gibt aber auch noch ande­re inter­na­tio­na­le Hin­der­nis­se. Man könn­te natür­lich Trans­port­ket­ten steu­ern, viel­leicht auch über die CO2-Steu­er. Aber da gibt es auch noch die Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on (WTO), die sagt, Regio­na­li­sie­rung darf nicht bevor­zugt wer­den, weil das dis­kri­mi­niert zu unrecht ande­re Regio­nen und das ist natür­lich nicht von der Hand zu weisen. 

Das kli­ma­feind­li­che Sys­tem wird so durch inter­na­tio­na­le Regeln geschützt? 

Ja, es wird auf die Wei­se geschützt. Man kann sich anschau­en, wie zum Bei­spiel in Mexi­ko bei der Ein­füh­rung der Zucker­steu­er inter­ve­niert wur­de. Da wur­de sich stark ein­ge­mischt, weil Mexi­ko sehr viel Zucker impor­tiert und die Steu­er sich auto­ma­tisch wie ein Zoll auf die­se Impor­te aus­wirkt. Und das ist natür­lich für die WTO rele­vant. Das ist ein sehr kom­ple­xes Sys­tem, aber das sind natür­lich zugleich die Hebel, um das Pro­blem anzugehen. 


Interview

Dr. Ingo Zasa­da ist Stadt­pla­ner und Agrar­wis­sen­schaft­ler und arbei­te­te am Leib­niz-Zen­trum für Agrar­land­schafts­for­schung (ZALF) zu Stadt-Land-Bezie­hun­gen, städ­ti­sche Agrar­sys­te­me und ‑poli­tik. Aktu­ell wid­met er sich The­men der Inno­va­ti­ons­po­li­tik beim Pro­jekt­trä­ger am Deut­schen Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR).

Was wäre, wenn…

… Städte gut für das Klima wären?

Im 6. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Städte und Klima. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alter­na­ti­ven für die Gesellschaft sicht­bar zu machen und poten­zi­el­le Lösun­gen ins Zen­trum zu rücken.

Jedes Thema wird mit einer was wäre wenn-Frage eröffnet und anschließend in Essays, Interviews und in einem begleitenden Podcast diskutiert. Zum Wesenskern unseres Magazins gehört die Pluralität der Stimmen und Perspektiven. Die Inhalte werden deshalb, neben journalistischen Beiträgen, vor allem von Expert*innen aus Wissenschaften, Praxis und Zivilgesellschaft verfasst.

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