„Über Geld spricht man nicht.“

Wir berichten über unsere Erfahrungen bei der Entwicklung eines fairen Gehaltsmodells für unser Team.

Gespräche hinter geschlossenen Türen, gepaart mit emotionaler Aufladung und Unzufriedenheit: Gehaltsverhandlungen sind oft an das Verhandlungsgeschick einzelner Angestellter geknüpft und intransparent gestaltet. Werden Gehälter primär durch individuelle Verhandlung bestimmt, entstehen schnell Ungleichheiten, die sich nicht an Leistung oder Verantwortung orientieren, sondern an Rhetorik und Durchsetzungsfähigkeit. Gehälter nach TVÖD wiederum birgen das Risiko, dass sie nicht zur NGO-Welt passen: Denn Projektförderungen sind kürzer, Hierarchien sind flacher, Rollen ändern sich dynamischer als im von Stabilität geprägten öffentlichen Dienst. Die Frage nach dem Gehalt wirkt wie ein Brennglas auf Organisationskultur. Dabei bietet das Thema auch das Potenzial, die Kultur einer Organisation positiv zu beeinflussen. Genau dort setzen wir an. 
 
Als Geschäftsführung haben wir uns entschieden, gemeinsam mit unserem Team ein transparentes und möglichst faires Gehaltsmodell zu entwickeln. Unser Ziel war es, das Gehalt aus gängigen Verhandlungsdynamiken herauszulösen und eine Grundlage zu schaffen, die nachvollziehbar, transparent und für alle zugänglich ist. Zwei Leitfragen haben uns dabei begleitet: 

  • Wie gestalten wir Gehälter so, dass sie zu unserer Organisation passen? 
  • Wie schaffen wir Transparenz – sowohl bei der Höhe als auch beim Wachstum der Gehälter? 

Die Initiative Offene Gesellschaft versteht sich als Organisation, die feministische Prinzipien in ihrer Arbeit verankert: Gleichberechtigung, Partizipation, kritische Selbstreflexion und eine faire Verteilung von Ressourcen. Unser Gehaltsmodell ist damit nicht nur eine technische Lösung, sondern auch Ausdruck einer Haltung: Wir wollen Machtstrukturen hinterfragen, Verantwortung gemeinsam tragen und ein Arbeitsumfeld fördern, in dem Kooperation vor Konkurrenz steht. 

Der Entwicklungsprozess 

Für die Entwicklung haben wir einen Arbeitskreis gegründet, bestehend aus der Geschäftsführung und drei Teammitgliedern. Somit sind verschiedene Perspektiven in der Organisation – von Berufseinsteiger*innen oder Projektleitung bis zur Geschäftsführung intensiv in die Entwicklung eingebunden. 

Nach einer umfassenden Recherche, die ernüchternd zeigte, dass es kaum Vorbilder für kollektiv entwickelte Gehaltsmodelle gibt, stand die zentrale Frage im Raum: Welche Faktoren sind für uns relevant, damit sich Gehalt fair anfühlt? Die Antworten waren komplex. Schnell wurde klar: Das perfekte Gehaltsmodell gibt es nicht. 

„Wir können als Organisation nicht alle gesellschaftlichen Benachteiligungen ausgleichen. Aber Nachvollziehbarkeit bei der Gehaltsbildung ist ein wichtiger Schritt.“ 

Wouter Bernhardt, Projektleitung Tag der Offenen Gesellschaft

 Wir beschlossen, ein Modell zu entwickeln, das auf einem Grundgehalt basiert und sich durch Erfahrung und Verantwortung differenziert. In dem Modell sind vier Rollentypen bzw. Verantwortungsstufen abgebildet, welche Einfluss auf das Gehalt nehmen: Die Grundverantwortung, die inhaltlich-operative Verantwortung, die steuernd-strategische Verantwortung und die Programmverantwortung. Konkrete Rollen wie Social Media Management, Eventkoordination oder Projektleitung werden zwar auf Projektebene definiert, gleichzeitig fallen auch sie unter eine der vier Verantwortungsstufen.

Unter ‚Erfahrung‘ fassen wir verschiedene Qualifikationen und Hintergründe zusammen. Von Studienabschlüssen bis zu Berufserfahrungen werden Punkte vergeben, die sich summieren. Bei der Berufserfahrung richtet sich die Höhe der Bewertung nach ihrer inhaltlichen Relevanz für die Arbeit bei der Initiative Offene Gesellschaft. Dabei werden relevante Praktika, Nebenjobs oder Engagement und Aktivismus gleichwertig anerkannt. Auf diese Besonderheit sind wir stolz, da sie sie den Kern unserer Organisation widerspiegelt, das politische und soziale Engagement in der Demokratie zu fördern. 

Um den unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht zu werden, zahlen wir einen Zuschlag für Angestellte, die privat Verantwortung für andere übernehmen. Dieser gilt insbesondere dann, wenn durch die Betreuung oder Pflege von Kindern oder unterstützungsbedürftigen Personen zusätzliche zeitliche oder finanzielle Belastungen entstehen. 

Letztlich haben wir Gewichtungen und Zahlen festgelegt und einen Prozess etabliert, um das Modell kontinuierlich anzupassen. Feedback aus dem Team wird dabei regelmäßig aufgenommen und in die Weiterentwicklung eingespeist. 

Herausforderungen auf dem Weg 

Gehalt lässt sich kaum losgelöst von Rollen, Verantwortung, Leistung, Hierarchie und Karriere diskutieren. Es ist eng verknüpft mit eigenen Interessen und beruflicher Weiterentwicklung – auch im Vergleich mit Kolleg*innen. 
 
Wir haben gelernt: Der Prozess lebt von Ambivalenzen. Unterschiedliche Vorstellungen davon, was „fair“ bedeutet, treffen aufeinander. Viele wünschen sich eine Gesellschaft und Arbeitswelt, in der wir Hierarchie, Konkurrenz und Leistungsdruck überwinden. Kollektive Verantwortung, flache Hierarchien, geringe Gehaltsdifferenzen – das ist vielen in unserer Organisation wichtig. Andererseits definiert sich ein faires Gehalt für einige dadurch, dass individuelle Leistung finanziell anerkannt wird und einem linearen Aufstieg als Norm folgt. 


Das Spannungsfeld zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Leistungsgerechtigkeit bleibt bestehen. Hinzu kommt, dass Gehalt ein emotional stark aufgeladenes Thema ist – Kompromisse sind unvermeidlich. Wichtig war uns, dies von Beginn an klar zu kommunizieren und einen Rahmen zu schaffen, in dem Dissens möglich, aber konstruktiv bearbeitbar ist. 
 
Eine weitere Herausforderung steht wie ein Elefant im Raum: Die Gehälter müssen nach außen konkurrenzfähig sein, damit sie auch für Personen mit viel Berufserfahrung attraktiv sind. 

Empfehlungen für andere Organisationen 

Unser wichtigster Rat: Seid euch bewusst, dass die Entwicklung eines Gehaltsmodells keine rein technische Aufgabe ist, sondern eine zutiefst politische. Der Prozess ist anspruchsvoll, weil er unterschiedliche Haltungen, Interessen und Erwartungen sichtbar macht. 

„Wichtig ist das Framing, dass die Entwicklung eines Gehaltsmodells für alle Beteiligten Kompromisse bedeutet. Hier ist auch die Geschäftsführung gefragt: Was ist Teil des Modells, welche Entscheidungskompetenzen sollen in eigener Hand bleiben?“

Max Bohm, Co-Geschäftsführung 

Darüber hinaus empfehlen wir, externe Begleitung hinzuzuziehen, zumindest für einen Sensibilisierungsworkshop. Eine neutrale Perspektive hilft, potenzielle Fallstricke zu erkennen und das Team auf die gemeinsame Reise vorzubereiten. 
Trotz aller Herausforderungen sind wir überzeugt: Es lohnt sich. Unser Gehaltsmodell hat die Kultur der Initiative Offene Gesellschaft gestärkt. Wir sprechen dadurch offener über Verantwortung, Wertschätzung und Zusammenarbeit und haben einen Umgang mit dem Thema Gehalt gefunden, der uns als Organisation weiterbringt.