Euer Feminismus ist nicht mein Feminismus

T-Shirts shop­pen und Girl­boss-Sta­tus anstre­ben genügt nicht. Wer das Ende des Patri­ar­chats will, muss bei den Mar­gi­na­li­sier­ten ansetzen. Ein Text von Hengameh Yaghoobifarah.
feminismus lean-in
Aus dem 2. Teil der was wäre wenn-Reihe:

Was wäre, wenn Feminismus nicht mehr nötig wäre?

Ob bei Net­flix, Dior oder H&M bis hin zu den Busi­ness-Eta­gen die­ser Welt – die Brea­king News sind ange­kom­men: Femi­nis­mus ist geil. Vor allem als Ver­mark­tungs­stra­te­gie. Taschen, Klei­dung, Pos­ter, Make-up, Apps, Well­ness­an­ge­bo­te oder Lebens­mit­tel, der Fan­ta­sie sind kei­ne Gren­zen gesetzt, all das ver­kauft sich unter dem ​„Girl Power“-Slogan. Solan­ge Femi­ni­tät auch Stär­ke oder Erfolg bedeu­ten kann, ist es mitt­ler­wei­le in Mode, #Like­AGirl zu sein, wie es die Always-Bin­den­wer­bung impli­ziert. Bedenkt man, dass bis vor kur­zem ​„Sex sells“ die Regel war, wirkt die­ser Wan­del zunächst posi­tiv. Auf dem Weg ver­lo­ren gegan­gen ist dabei aller­dings der poli­ti­sche Gehalt der femi­nis­ti­schen Bewe­gung. Vom Wider­stand gegen Sexis­mus und Kapi­ta­lis­mus ist wenig übrig geblie­ben. Oft nur eine lee­re Hülse. 

Wie es von der Bewe­gung zum Kas­sen­schla­ger kam? Man­che erklä­ren es mit der Tat­sa­che, dass die The­ma­ti­sie­rung von Geschlecht ver­mehrt in Pop­kul­tur und klas­si­schen Medi­en statt­ge­fun­den hat. Aber muss die logi­sche Kon­se­quenz aus femi­nis­ti­schen Pop­songs und star­ken Frau­en in Seri­en die­se kapi­ta­lis­ti­sche Ent­po­li­ti­sie­rung bedeu­ten? Für den Aus­ver­kauf ver­ant­wort­lich sind sicher auch die Unter­neh­men, die Femi­nis­mus in Pro­fit ver­wan­deln wol­len. Doch sie sind nicht die ein­zi­gen, die Femi­nis­mus ledig­lich zu ​„Frau­en­power“ verkürzen. 

Im Jahr 2013 ver­öf­fent­lich­te die Face­book-Mana­ge­rin und Mil­li­ar­dä­rin She­ryl Sand­berg ihr Buch ​„Lean In: Women, Work and the Will to Lead“ (auf Deutsch: ​„Lean In: Frau­en und der Wil­le zum Erfolg“). In die­sem Rat­ge­ber pre­digt Sand­berg das neo­li­be­ra­le Man­tra, dass Frau­en es in Chef­eta­gen schaf­fen, wenn sie es denn nur genug wol­len und sich aus­rei­chend in ihre Kar­rie­re ​„rein­hän­gen“. Damit lässt Sand­berg nicht nur außer Acht, dass über­haupt nicht jede*r den Wunsch hat, Kar­rie­re zu machen, son­dern sie ver­gisst auch all die struk­tu­rel­len Hin­der­nis­se. Sexis­mus, Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus, Klas­sen­ver­hält­nis­se, Hete­ro­nor­ma­ti­vi­tät, Trans­feind­lich­keit und Behin­der­ten­feind­lich­keit zie­hen sich durch alle Berei­che der Gesell­schaft und machen das Leben Man­cher leich­ter und Ande­rer schwie­ri­ger. Es ist ein Mythos, dass alle Men­schen die glei­chen Chan­cen hät­ten, wenn sie sich nur genug anstren­gen wür­den – so wie Sand­berg das sug­ge­rier­te. Die­ser toxi­sche Gedan­ke führt nicht nur dazu, dass vie­le Men­schen aus­bren­nen, son­dern er igno­riert auch all jene gesell­schaft­li­chen Bar­rie­ren, die der Femi­nis­mus eigent­lich durch­bre­chen will. 

Die Pro­ble­me der Lean-In-Philosophie

Dass das von Sand­berg gefor­der­te ​„Lea­ning-In“ gar nicht so ein­fach geht, sah sie nach dem Tod ihres Ehe­manns im Jahr 2016 sel­ber ein. Plötz­lich war sie eine allein­er­zie­hen­de Mut­ter und bekam die Last der Sor­ge­ar­beit anders zu spü­ren als zuvor. Sie gab zwar nun selbst zu, dass allein­er­zie­hen­de Müt­ter – ins­be­son­de­re jene, die kein Geld dafür haben, Sor­ge­ar­beit out­zu­sour­cen – sich nicht ein­fach ​„rein­hän­gen“ kön­nen, doch ihre Ent­schul­di­gung änder­te nichts dar­an, dass sich ihr Dog­ma längst weit ver­brei­tet hat­te. Vie­le Unter­neh­men haben die­se neo­li­be­ra­le Phi­lo­so­phie bis heu­te ver­in­ner­licht. Wie der vor Jahr­zehn­ten noch ver­hass­te Femi­nis­mus sei­nen Weg in den Main­stream gefun­den hat, zeigt das Bei­spiel She­ryl Sand­berg also nur zu gut: Solan­ge er nicht mit Streiks, For­de­run­gen und unbe­que­men Mei­nun­gen, son­dern mit kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wert­bar­keit und Leis­tungs­druck zu tun hat, ist Femi­nis­mus will­kom­men. Zumal diver­se Stu­di­en bele­gen, dass Unter­neh­men davon auf unter­schied­li­che Arten pro­fi­tie­ren kön­nen, Füh­rungs­po­si­tio­nen weib­lich zu besetzen.

End­lich ist die ers­te Asso­zia­ti­on mit Femi­nis­mus kei­ne behaar­te, dicke, män­ner­has­sen­de Les­be mehr – von die­sem Kli­schee gren­zen sich Lean-in-Feminist*innen immer flei­ßig ab –, son­dern eine makel­lo­se Frau, die Kin­der, Kar­rie­re, eine glück­li­che Bezie­hung und bes­ten­falls noch Fit­ness locker jon­gliert. Die Stär­ke hin­ter Girl Power bedeu­tet jetzt Durch­set­zungs­fä­hig­keit, Ehr­geiz, Fleiß und finan­zi­el­ler Erfolg – ein neo­li­be­ra­ler Cock­tail, der nicht nur Frau­en an ihre Gren­zen brin­gen kann. Was die­ser Cock­tail ent­hält, ist letzt­end­lich neben Lohn­ar­beit auch Sor­ge­ar­beit, Kör­per­ar­beit, Bezie­hungs­ar­beit und gege­be­nen­falls auch Sexarbeit. 

Wenn eine Frau also neben ihrer Voll­zeit­stel­le für ihre Fami­lie kocht und putzt, im Fit­ness­stu­dio trai­niert und für ein ​„gepfleg­tes Äuße­res“ sorgt, ihrem Freund ein offe­nes Ohr schenkt und dann für ein auf­re­gen­des Sex­le­ben zustän­dig sein soll, besteht ihr All­tag fast nur aus Arbeit. Dies ist das nor­ma­ti­ve Ide­al. Nur: Wer soll das aus­hal­ten? Oder anders gefragt: Wer kann sich das leis­ten? Wohl­ha­ben­de Frau­en kön­nen die­se Auf­ga­ben out­sour­cen, durch Haus­halts­hil­fen, Rei­ni­gungs­kräf­te, Kin­der­be­treu­ung. Die meis­ten Arbeiter*innen aus die­sen Sek­to­ren üben ihre Beru­fe unter pre­kä­ri­sier­ten Umstän­den aus – und blei­ben übli­cher­wei­se unsicht­bar. Gleich­zei­tig gelingt es mit ihrer Hil­fe, den Mythos der erfolg­rei­chen und glück­li­chen Frau auf­recht zu erhalten.

Glä­ser­ne Decken und ihre geschrubb­ten Leitern

Die­se Art von Kar­rie­re-Femi­nis­mus domi­niert die Debat­ten und plat­ziert in ihnen exklu­si­ve The­men, die für vie­le Frau­en gar kei­ne gro­ße Prio­ri­tät haben, wie zum Bei­spiel glä­ser­ne Decken auf dem Weg zum Fir­men­vor­stand, aber auch der Gen­der Pay Gap und die Ver­ein­ba­rung von Kind und Kar­rie­re. Klar, man­geln­de Kin­der­be­treu­ung betrifft die meis­ten Men­schen, doch vie­le von ihnen haben kei­ne Wahl, sie müs­sen nun mal arbei­ten, um sich und ihre Fami­li­en ver­sor­gen zu kön­nen. Bei pre­kä­ren Anstel­lungs­ver­hält­nis­sen spielt der Lohn­un­ter­schied zwi­schen Män­nern und Frau­en meis­tens kei­ne Rol­le – erst recht nicht, wenn dort ohne­hin fast nur Frau­en arbeiten. 

Glä­ser­ne Decken tau­chen außer­dem meis­tens nur dann auf, wenn die Lei­tern zu ihnen geschrubbt und gesi­chert wer­den. Das Pro­ble­ma­ti­sche: Die­se The­men wer­den so ver­han­delt, als beträ­fen sie die Mehr­heit und nicht die bes­ser betuch­ten Aus­nah­men. The­men wie das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men, Femi­zi­de, sexua­li­sier­te Gewalt, der Pfle­ge­not­stand, Kita­plät­ze, siche­re und lega­le Abtrei­bun­gen: All das sind Bei­spie­le für femi­nis­ti­sche The­men, die eine viel grö­ße­re Grup­pe an Men­schen betref­fen als die Pri­vi­le­gier­te­ren, aber im öffent­li­chen Dis­kurs zu wenig Auf­merk­sam­keit erhalten. 

Die man­geln­de Hin­ter­fra­gung des Kapi­ta­lis­mus führt mal wie­der in eine Sack­gas­se: Nur, weil Frau­en die Werk­zeu­ge nut­zen, mit denen Män­ner schon seit Jahr­zehn­ten ihre Über­le­gen­heit demons­trie­ren, wird es nicht zur Gleich­be­rech­ti­gung kom­men. Im Gegen­teil: Hier­ar­chi­en blei­ben bestehen, Unter­drü­ckung setzt sich fort, nur eben nicht auf dem Rücken aller Frau­en, son­dern dem der mar­gi­na­li­sier­te­ren. Beson­ders Arbeiter*innen und Migrant*innen gehö­ren zu den Verlierer*innen die­ser Logik. ​„Lea­ning-in“ und Girl­bos­sing geht Hand in Hand mit der Aus­beu­tung ande­rer: So funk­tio­niert Kar­rie­re. ​„Die Werk­zeu­ge des Meis­ters wer­den nie­mals das Haus des Meis­ters nie­der­rei­ßen“, schrieb die Schwar­ze Femi­nis­tin, Les­be und Autorin Aud­re Lorde. 

Femi­nis­mus wird nicht nur von Unter­neh­men per­formt, son­dern auch von den meis­ten staat­li­chen Insti­tu­tio­nen. Ein gutes Bei­spiel ist die Poli­zei, die einer­seits LGBT-Kam­pa­gnen fährt, ande­rer­seits aber auch an quee­ren, trans und inter Per­so­nen Gewalt aus­übt – ent­we­der durch die Repro­duk­ti­on der ent­spre­chen­den Feind­lich­keit oder bei der nächs­ten Demo.

Femi­nis­mus muss alle befrei­en, nicht nur manche

Auch die ver­ein­zel­te Kar­rie­re­för­de­rung von Frau­en mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund reicht nicht. Der Mythos, dass Men­schen mit mehr Dis­kri­mi­nie­rungs­er­fah­run­gen auto­ma­tisch bes­se­re Poli­tics haben, löst sich schon fast selbst auf, wenn man Mel­dun­gen über trans Per­so­nen, Les­ben, migran­ti­sche Deut­sche und Jüdinnen*Juden in der AfD liest. Iden­ti­täts­po­li­tik kann sehr wich­tig sein, doch man darf sich von ihr nicht zu sol­chen Schlüs­sen fehl­lei­ten las­sen: Eine Diver­si­fi­zie­rung des Sys­tems wird an den Grund­bau­stei­nen wenig ändern. 

Wenn Femi­nis­mus bedeu­tet, dass die Struk­tu­ren auf­recht erhal­ten blei­ben, aber punk­tu­ell mit Frau­en an der Spit­ze besetzt wer­den, ist das nicht mein Femi­nis­mus. Wenn Femi­nis­mus nur eine bestimm­te Grup­pe von Frau­en im Sinn hat, dann ist das nicht mein Femi­nis­mus. Wenn Femi­nis­mus bedeu­tet, dass es bei der Frau­en­/­Män­ner-Bina­ri­tät bleibt, dann ist das nicht mein Femi­nis­mus. Wenn Femi­nis­mus nur man­che und nicht alle befreit, dann ist es nicht mein Feminismus. 

Die Kom­bi­na­ti­on eines sol­chen ein­di­men­sio­na­len Den­kens mit Femi­nis­mus bezeich­nen vie­le als White Femi­nism. Fest steht: Nicht jede femi­nis­ti­sche Per­son, die weiß ist, prak­ti­ziert auto­ma­tisch White Femi­nism, aber fast alle White Femi­nists sind weiß. White Femi­nism zeich­net sich dadurch aus, dass er nur von einer geschlech­ter­ba­sier­ten Unter­drü­ckung aus­geht und kei­ne inter­sek­tio­na­le Ana­ly­se hat, also Mehr­fach­dis­kri­mi­nie­rung nicht mit­denkt. Wer kei­ne wei­ße, christ­lich sozia­li­sier­te, hete­ro­se­xu­el­le, mit­tel­stän­di­ge cis Frau ohne Behin­de­rung ist, weiß, dass Sexis­mus nicht die ein­zi­ge Bar­rie­re ist, die sie vom schö­nen, sor­ge­frei­en Leben trennt. Kapi­ta­lis­mus ver­stärkt die­se Macht­ver­hält­nis­se um ein wei­te­res, da die Pri­vi­le­gi­en sich in mate­ri­el­le Ver­hält­nis­se umset­zen und Reich­tum ungleich ver­tei­len. Je mehr Kapi­tal ein Mensch besitzt, des­to leich­ter ist es für ihn, wei­te­res zu erzie­len. Ein Lean-in-Femi­nis­mus repro­du­ziert die­se Ungerechtigkeit. 

Wenn Erfol­ge nicht nur mit Ver­wert­bar­keit und wirt­schaft­li­chem Pro­fit zu tun haben, son­dern etwa durch Geset­zes­än­de­run­gen mehr kör­per­li­che Selbst­be­stim­mung und Arbeiter*innenrechte schaf­fen, kön­nen wir sie tat­säch­lich als femi­nis­tisch fei­ern. Solan­ge es jedoch eine so gro­ße Sche­re zwi­schen dem Image und der Rea­li­tät einer Gesell­schaft gibt, muss erst mal hier eine Trans­for­ma­ti­on stattfinden. 

Also am bes­ten nicht nur T-Shirts kau­fen und Girl­boss-Sta­tus anstre­ben, son­dern auch zu femi­nis­ti­schen Streiks gehen. Am bes­ten nicht nur ver­ein­zel­te Regie­rungs­chefin­nen und Unter­neh­me­rin­nen glo­ri­fi­zie­ren, son­dern für siche­re, zugäng­li­che und lega­le Schwan­ger­schafts­ab­brü­che, für die Rech­te von Sexarbeiter*innen und einen selbst­be­stimm­ten Geschlechts­ein­trag kämpfen.


Autor*in

Hen­g­a­meh Yag­hoo­bi­fa­rah ist freie_​r Journalist_​in, Essayist_​in, taz-Kolum­nis­t_in und Redakteur_​in beim Mis­sy Maga­zi­ne. 2019 erschien der zusam­men mit Fat­ma Ayd­e­mir her­aus­ge­ge­be­ne Essay­band ​„Eure Hei­mat ist unser Alb­traum“ bei Ull­stein fünf. [Foto: Vale­rie-Siba Rousparast]

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Im 2. Teil unserer was wäre wenn-Reihe sprechen wir über Feminismus. was wäre wenn ist das Online-Magazin der Initiative Offene Gesellschaft für konkrete Utopien. Unser Ziel ist es, Alter­na­ti­ven für die Gesellschaft sicht­bar zu machen und poten­zi­el­le Lösun­gen ins Zen­trum zu rücken.

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