1. Ziel und thematische Schwerpunkte
Archive sind Institutionen der Sammlung und Organisation von Wissen. Sie stehen in spezifischen Traditionen der Wissensproduktion und beteiligen sich an den gesellschaftlichen Konstruktionen des kollektiven Gedächtnisses. Das Archiv von Offener Prozess – ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex versteht sich abseits von hegemonialen Logiken dieser Konstruktionen. Es soll eine aktive Rolle in der Gestaltung der Gegenwart einnehmen und zu Vorstellungen anderer Zukünfte einladen.
Das impliziert eine Beteiligung an Erinnerungsformen im Zuge von antirassistischen Kämpfen um institutionelle Repräsentation, eine Dekolonisierung von Wissensbeständen und ein Verlernen des rassistischen Wissens im kulturellen Gedächtnis. Das ist für die Geschichtsschreibung einer Gesellschaft der Vielen, die die Wirkmächtigkeit normativer Masternarrativen entgegensteht und stört, unabdingbar. Die Masternarrative herauszufordern, erfordert die Anwendung von alternativen Methoden.
Die geschichts- und sozialwissenschaftlichen Ansätze, die üblicherweise im Archiv angewandt werden, können wie jede Methode an Grenzen kommen. Obwohl kein Anspruch auf Vollständigkeit im Archiv besteht, kann Kunst hier eine ergänzende und fruchtbare Alternative sein. Sie bringt einen anderen Blickwinkel auf den archivarischen Tisch. Sie deutet die Authentizität und Autorität des Materials um und strukturiert Wissensbestände neu, um Alternativen oder sogar Counter-memories zu produzieren. Damit kann das Archiv lebendig gestaltet werden, indem die Nutzung des Archivs und Archivmaterials sich in ihrem Umgang mit Lücken von Imagination und Kreativität bedient.
Die Natur und Autorität des Archivs und ihres Materials werden dadurch herausfordert, aktualisiert und an neue Möglichkeiten geöffnet sowie pluralistischen Epistemologien entwickelt.
Um die Möglichkeiten von Kunst im Archiv von Offener Prozess zu erproben, laden wir zur Bewerbung für eine Residency ein. Die Einladung richtet sich an Künstler:innen oder Kurator:innen, Individuen oder Kollektive, die sich nach künstlerischen und/oder kuratorischen Ansätzen im Archiv an der Erschließung und Aufarbeitung der gesellschaftlichen Dimensionen und Ursachen des NSU-Komplex beteiligen wollen. Inhaltliche Schwerpunkte sind hier die Rolle des ostdeutschen Erfahrungsraumes und der Perspektiven der Betroffenen von rechtem Terror und rechter Gewalt, aber auch ostdeutsche Migrationsgeschichte und gegenwärtige Protestbewegungen, welche rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt etwas entgegensetzen.
2. Förderleistungen und Rahmenbedingungen
- Budget für die Residency: 13.300 Euro (brutto), inkl. Produktions- und Präsentationskosten
- Residency-Zeitraum: 01.09. – 30.11.2025 mit einem Aufenthalt von 25 Tagen in Chemnitz
- eine Unterkunft in Chemnitz wird gestellt
- Reisekosten werden nach Absprache übernommen
- Arbeitsräume & Infrastruktur: Zugang zu den Einrichtungen von Offener Prozess – ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex, Anbindung an das Arbeitsteam und lokale Netzwerke
- Beratung und Austausch mit dem Team von Offener Prozess und dem Arbeitsbereich Archiv zur konkreten Ausgestaltung des Residency-Ergebnisses
3. Bewerbung und Auswahlprozess
- Bewerbungsschluss: 20. April 2025
- Sichtung & Auswahl: bis 5. Mai 2025
- Bewerbungsunterlagen: Projektskizze mit erster Fragestellung (max. 1,5 A4-Seiten), Portfolio und Referenzen (künstlerische, kuratorische oder aktivistische Arbeiten), Lebenslauf
4. Erwartete Ergebnisse
- ein Werk (z.B. eine Veröffentlichung, eine Installation, eine Performance) oder eine Ausstellung bzw. Präsentation (z.B. im Bereich “Schaufenster” von Offener Prozess)
- ein diskursives Veranstaltungsformat (in Zusammenarbeit mit Offener Prozess) zu künstlerischen und kuratorischen Praktiken im Rahmen der Archivarbeit
5. Voraussetzungen und Bewerbungskriterien
- Aufenthalt von 25 Tagen in Chemnitz während der Residency
- Bewerbungen sind möglich auf Deutsch oder Englisch.
- Alternative Qualifikationen (kreative, aktivistische oder persönliche Erfahrungen) werden gleichwertig zu akademischen Abschlüssen berücksichtigt
- Besonders willkommen sind Bewerbungen von Menschen mit marginalisierten Perspektiven und von Menschen mit Bezug zu Ostdeutschland, sei es durch ihre Herkunft, Studium, Lebensweg oder inhaltliche Schwerpunkt ihrer Arbeit
6. Kontakt und Einsendung
Bitte die Bewerbung mit dem Betreff „Residency Archiv 2025“ per E-Mail einsenden an: residency@offener-prozess.de
Ansprechperson: David Muñoz Aristizábal